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Kultur: Zankapfel, Kuchen, Sex

Kirsten Fuchs erzählt eine Liebesgeschichte

Bei Kirsten Fuchs wird oft „ich“ gesagt. Ich, sagt ihre Protagonistin Tanja, „das ist mein Lieblingssatzanfang. Ich, ich, ich bin nicht eloquent. Ich bin der Mittelpunkt meines Mittelpunkts und definiere an mir angepflockt wie eine Ziege einen kleinen Radius um mich herum.“ Was sie will? Sie will Peter. Peter will Sex. Sex will Tanja auch, sogar sehr. Aber mit Liebe und dann ein Kind, ein Haus, einen Kuchen, ein Haustier mit Sattel. Peter soll also schnell Tanjas Peter werden. Sie schreibt Fragen für ihn aufs Klopapier. „Ob er das Wort Filzstift schön findet? Ich ja. Oder findet er Zankapfel noch schöner? Ich nicht.“ Die wichtigste Frage zwischen Peter und Tanja aber ist, wenn nach so viel Ich ein Dialog entsteht: „Bist du gekommen?“

Kirsten Fuchs (www.kirsten-fuchs.de), 1977 in Karl-Marx-Stadt geboren, hat sich auf Berliner Lesebühnen wie „Erfolgsschriftsteller im Schacht“ einen Namen gemacht und 2003 den „Open Mike“ gewonnen. In ihrem ersten Roman „Die Titanic und Herr Berg“ lässt sie kein erotisches Detail aus – und sie beginnt forsch. Dass Tanja (die Titanic) Herrn Berg (Peter vom Sozialamt) rammt, ist das schwächste Bild des Buches. Kirsten Fuchs denkt, schreibt, spricht mit gewaltigem Tempo, hat Ideen und Witz und einen eigenen Stil. Sie lässt Perspektiven kollidieren und betreibt auf lebendige Weise Gendertheater statt -theorie, bis die Rollenzuschreibungen bröckeln.

Peter ist geschieden und im Begriff sich zu panzern gegen die Leiden der Welt. Sex statt Gefühl, heißt seine Formel. „Ich gehe zur Arbeit, auf Klo, kaputt“. Und Liebe ist immer nur „leider“ Liebe. Tanja, die Geld bei ihm beantragt, glaubt wie im Märchen ans Glück und stürzt sich hemmungslos hinein. Freundinnen müssen sie wachrütteln und vor der Hörigkeit warnen. Aber sie lässt sich ungern belehren. Sie liebt bedingungslos. Die angedeutete Psychodynamik erklärt zugleich die Sprachkraft dieser Prosa, eine Art naiver Lust, Leerstellen zu besetzen und sich die Welt verspielt zu erklären, mit gespenstischer Klarsicht auf die Umstände unserer Zeit.

Kirsten Fuchs führt das Leid nicht vor, eher aus wie einen Hund. Die Oberfläche ihres Romans ist mit kristallklaren Sätzen flink bestückt, ist die Gier nach Leben, Körpern, Gegenständen. Einseitig geträumt, bleibt er eine riesige Fiktion, darin ist der Stoff groß. Peter ist zunächst einmal Tanjas Projekt, eine maßlose Aneignung zum Schutz gegen die Einsamkeit. Früh schon archiviert sie seine Spuren. Sie fotografiert seinen Mantel in ihrem Flur, das Laken danach oder einen Grabstein mit seinem Namen. Überhaupt wappnet sie sich mit Menschen gegen die Zumutungen der Welt. Mit Holger für die Formulare. Mit Frank, wenn sie krank ist. Mit Ina, um über Peter zu sprechen. Kirsten Fuchs’ erster Roman ist eine moderne Parabel über die Sucht nach Liebe, über Denksackgassen und skurrile Maßnahmen gegen das Einerlei. Rasant geschrieben, mit Lust an der Sprache, trocken und ironisch, erfrischend und alltagstauglich.

Kirsten Fuchs: Die Titanic und Herr Berg. Rowohlt, Berlin 2005. 285 S., 18,90 €.

Anja Hirsch

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