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Kultur: Zum Abschied hell

Opak: Àxel Sanjosés Gedichte „Anaptyxis“.

Von Karl Kraus stammt die schöne Maxime: „Künstler sollten Rätsel schaffen, nicht Lösungen.“ An einer avancierten „Tropen- und Rätselsprache“ (Novalis) arbeitet auch die sehr verschlossene, alle Stoffe, Themen, Substanzen und Motive extrem konzentrierende Dichtung Àxel Sanjosés. Der 1962 in Barcelona geborene, seit 1978 in München lebende Sanjosé bevorzugt eine poetische Engführung der Motive, die sich stark an die Sprachkunst des französischen Symbolisten Stéphane Mallarmé anlehnt, an dessen Verfahren der „orphischen Entfaltung“. Eine zweite Bezugsfigur ist der fast schon vergessene Günter Eich, von dem Sanjosé die Neigung zur Verkürzung und Verknappung adoptiert hat und den Widerstand gegen jegliches Dekor.

Nun hat Àxel Sanjosé den schmalen, aber äußerst substantiellen Gedichtband „Anaptyxis“ vorgelegt, nur 32 Gedichte, an denen der Autor freilich über zehn Jahre gearbeitet hat. Die Strenge des Dichters gegen sich selbst hat sich gelohnt. In diesem Buch findet man keine Zeile, die nur ornamentale Funktion hat oder ein geläufiges Metaphernrepertoire bedienen würde. Diese Gedichte haben unendlich viele Bearbeitungsstufen durchlaufen, bis sie ihre opak schimmernde Sprachgestalt erreicht haben. Die kryptische Titelfügung „Anaptyxis“ meint einen Prozess der „Entfaltung“ oder „Auffaltung“ und verweist damit nicht nur auf Mallarmés Poetik, sondern auch auf sein berühmtes Sonett „Ptyx“.

„Zum Abschied hell, / ein Rinnsal quillt so leis davon / davon heißt jemals, und nicht ich, / was sickert hier, was sickert“. So beginnt hier ein poetisches Szenarium des Abschieds, eine hypnotische Melodie des Versickerns und des Leiserwerdens von Geräuschen und Stimmen. Am Ende steht ein faszinierendes Paradoxon: „Wir stummen leis das erste Lied / wer sind wir hier“. Einzig die Frage nach der existenziellen Verfasstheit des Sprechenden bleibt als schwebendes Element im Raum des Gedichts – und steht antwortlos da.

Sanjosé hat eine Sentenz des katalanischen Dichters Salvador Espriu als Motto ausgewählt: „Das Lied versiegt, / wenn ich versuch, es anzustimmen“. Die Erfahrung, dass sich Sprache sofort entzieht, wenn man ihrer instrumentell habhaft werden will, bildet das Fundament der Poesie Àxel Sanjosés – für ihre Skepsis und ihre Sprachmusik. Michael Braun

Àxel Sanjosé:

Anaptyxis. Gedichte. Rimbaud Verlag,

Aachen 2013.

56 Seiten, 12 €.

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