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Ein-Mann-Projekt mit Band. Friedrich Greiling hat als Mittekill sein Album in Eigenregie produziert. Im Probenraum am Schlesischen Tor übt er aber mit drei Freunden.

© Thilo Rückeis

Friedrich Greiling: Zurück zur Spießigkeit

Friedrich Greiling bricht das Image des Hipsters mit einer Rockband. Er lebt in Westend, von wo aus er sein Spiel mit Mitte betreibt - und sich deswegen auch „Mittekill“ nennt

Kein Wasser, und erst recht keinen Wodka. Stattdessen bestellt Friedrich Greiling einen Espresso zum Gespräch im Café am Schlesischen Tor. Und später gleich noch einen. „Wasser oder Wodka“, so hieß der kleine Underground-Hit, den Greiling als „Mittekill“ im Jahr 2009 landete. Eine eingängige Discopopnummer mit 80er-Jahre-verliebten Synthesizern, auf die er mit gelangweilt-kühler Stimme sang: „Ich bin drauf wie 1000 Rocker. Und der Beat lässt heut’ nicht locker. Bis der ganze Laden schreit.“

Dabei wirkt Friedrich Greiling in seiner jungenhaften Pausbäckigkeit so weit entfernt von tausend Rockern wie ein Espresso vom Partygetränk. Der 34-Jährige spricht bedächtig und leise, seine Stimme droht im Treiben des Cafés zu versickern. Er nimmt sich Zeit für jede Antwort, denkt lange nach, plappert nicht unüberlegt drauflos. Sein Verhältnis zum einstigen Hit ist heute entspannt. „Ich fand’s super, so viel Aufmerksamkeit im Partybereich zu haben“, sagt er, „aber jetzt ist der Song für mich nicht mehr wirklich relevant.“ Live spielt er ihn trotzdem noch gerne.

Greiling, schüchtern und unprätentiös, entspricht so gar nicht dem Image des um stete Coolness bemühten Hipsters, das ihm manche Medien wegen seiner Songs andichten wollen. Und überhaupt: Ist es ernst gemeint oder ironisch gebrochen, wenn er auf dem aktuellen Album „All But Bored, Weak and Old“ über verhasste Jobs oder das Ende einer Beziehung singt?

Der „Rolling Stone“ wusste das im April auch nicht so recht, machte seine Platte ungeachtet dessen zum „Liebling des Monats“, vor allem der Texte wegen. Der österreichische Standard attestierte Mittekill hingegen „ausgestelltes, aufgekratztes Hipstertum“ und schrieb lakonisch: „Ist wahrscheinlich ironisch gemeint.“

Nicht alles, so viel ist sicher. Der Opener „Leb wohl“ etwa ist eine melancholische Ballade, in der Greiling bei reduzierten Klavierklängen den Tod seines Vaters verarbeitet. „Ich wollte keine allzu schreiende Platte machen und diesmal auch zarte Seiten rauskommen lassen“, sagt er. Ihm war wichtig zu zeigen, dass er ernste Songs beherrscht, nicht alles auf die leichte Schulter nimmt. So finden sich mehr analoge Lieder auf dem neuen Album, die Songstrukturen sind einfacher geworden. Der Tod als Thema war eine Facette, die neu für Greiling war. „Ich spiele den Track auch live, um die Erwartungen erst mal runterzuschrauben“, sagt er. „Man kann ja nur überraschen, wenn man Erwartungen bricht.“ Das Cover des aktuellen Albums zeigt einen verwelkten Blumenstrauß, ein Bild für die Freude am Morbiden und an der ständigen Brechung, die Greiling antreibt. Aber auch Symbol für die teils krude Mischung an Tracks, die sich auf der Platte findet: pluckernder, clubtauglicher Elektro, ein dystopischer Schunkelsong („3 Tage Stromausfall“), gefällige Gitarrenriffs, hämmernde Beats und pumpende Bässe, alltagsphilosophischer Deutschpop im Stile von Element of Crime („Chinaimbiss Berlin“). Wie eine Compilation verschiedener Musiker wirkt das.

Solche Überraschungen und Brüche sind Greiling wichtig, „jokerhaft“ nennt er den Stil von Mittekill. Die aktuelle Single trägt den Titel „Jtzt Wrd Gfckt“ – Vokale und inhaltliche Dimension möge man sich hinzudenken. Doch bei Mittekill ist nichts nur platt und das Spiel mit der Abgeschmacktheit stets kokett gemeint, so auch die Anflüge von Schlagerdisco und Elektrokitsch. Ironie baut immer Distanz auf, Greiling nutzt sie – dann doch – mitunter als Schutzschild. „Ich mag softe Klänge, die sonst verpönt sind“, sagt er entschuldigend. „Meine Musik muss ein bisschen gebrochen und dilettantisch bleiben.“ Auf Rave-Festivals einfach nur ravige Songs spielen, dem Affen seinen Zucker geben – das ist seine Sache nicht. „Dann ist die Selbstironie verloren gegangen. Und damit auch der Kunstaspekt, der mir wichtig ist.“

Ironie spielt auch beim Namen „Mittekill“ eine Rolle. Der hat nicht mehr viel mit dem Leben von Greiling zu tun: Er wohnt mit seinem 11-jährigen Sohn in Charlottenburg – der Proberaum liegt in Kreuzberg. „Mittekill“ hatte er irgendwann an seine alte Zimmerwand geschrieben, die er als Notizblock nutzte, mit Worten, Skizzen und „pseudoschlauen Sprüchen“ füllte. Das namentliche Spiel mit der Mitte, von vielen mit Bedeutung überstrapaziert, mit Reizwörtern wie „Gentrifizierung“ assoziiert, beobachtet Greiling aus der Halbdistanz – ohne allzu ernst zu nehmen, was da geredet und geschrieben wird. Er nennt den Namen einen „gelungenen Streich“ und „auf eine Art subversiv“.

Doch wie kommt einer zu etwas, das in dieser Form so richtig nirgendwohin zu gehören scheint – weder nach Mitte noch nach Charlottenburg? Das Gitarrenspiel hatte sich der studierte Kulturpädagoge und Grafikdesigner als Jugendlicher selbst beigebracht, später gab ihm ein Freund die Musik-Software Rebirth. So kam er, den es vor zehn Jahren nach Berlin zog, zur elektronischen Musik, schrieb seine alten Songs um und schickte das neue Material, aufgenommen auf Achtspurgerät und Tape, dem Hamburger Indielabel L’Age d’Or, einst Heimat von Tocotronic und den Sternen. Der Plattenfirma gefielen die Songs, nur ihr Klanggewand war noch zu unprofessionell. So suchte Greiling per Zitty-Annonce einen Produzenten – und fand ihn in Jan Hohmann.

Mit ihm nahm er 2007 das erste Album auf, „Stringenz des Wahnsinns“. Die zweite und auch die aktuelle Platte produzierte er allein. „Ich musste einsehen, dass ich ein Ein-Mann-Projekt bin“, sagt Greiling. Doch als „All But Bored, Weak and Old“ fertig war, rief er für die Liveauftritte von Mittekill eine Band ins Leben. Sie besteht aus drei alten Weggefährten, die mit ihm Gitarre, Bass und Schlagzeug statt Laptops auf die Bühne bringen. „Zurück zur Rockband, zurück zur Spießigkeit“ wollte Greiling. Nicht mehr nur Playback und Knöpfchendrücken. Die Band interessiert die Schnittstelle zwischen den digitalen Tracks und dem analogen Freispielen, die Energie und Dynamik, das intuitive Moment auf der Bühne. „Nach einem Auftritt bin ich mehr ich selbst als vorher. Ich spiele mich frei, werde alle Neurosen und Hemmungen los“, sagt Greiling.

Zum Abschluss einer kleinen Deutschland-Tour tritt er als Mittekill im Ritter Butzke auf, einen Tag später mit seinem Deutschpop-Seitenprojekt „Die Bäume“ im Trickster. Außerdem macht er als „Freedarich“ Techno, arbeitet in den Sophiensaelen als Theatermusiker und hat im Herbst seine alten NDW-Helden Fehlfarben auf ihrer Tour unterstützt. „Ich möchte ein kleiner, unabhängiger Typ sein“, sagt Greiling über sich. Nur eins scheint dabei sicher: Alles bleibt anders.

Mittekill spielen am 20.12. ab 21 Uhr im Ritter Butzke, Ritterstraße 26, Kreuzberg. Abendkasse: 10–11 €.

Kaspar Heinrich

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