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Wie eine West-Berlinerin die Stadt erleben kann

Am Sonntag isst der Berliner keine Berliner. Zumindest backt er sie nicht. Das habe ich neulich herausgefunden, als ich mein 20-jähriges Dasein als West-Berlinerin feiern wollte. Aber Pfannkuchen waren in den Bäckereien meiner Nachbarschaft nicht zu kriegen. Sonntags nimmer.

Am 1. Januar 1989 bin ich von Hamburg nach Schöneberg gezogen. Wir mussten noch vor den DDR-Kontrollen strammstehen, zur Belohnung gab’s Begrüßungsgeld. Da man junge berufstätige Menschen nach West-Berlin locken wollte, auf dass es nicht nur eine Stadt der Wilmersdorfer Witwen, Studenten und Hausbesetzer sei, kriegte man diverse Bonbons. Umzugs-, Überbrückungs- und Einrichtungsgeld, Berlinzulage sowieso und obendrein eine rote Plastikschreibmappe mit Berliner Wappen drauf. Habe ich neulich beim Aufräumen wiedergefunden, noch ganz jungfräulich.

Das war ja nicht lang, um sich für diese Kolumne zu qualifizieren, mögen Sie sagen, nur zehn Monate als reinrassige West-Berlinerin. Es hat gereicht, dass ich bis heute zusammenzucke, wenn jemand „Westberlin“ in einem Wort schreibt. Pfui! Eine Stadt dieses Namens gab es nie, außer in der DDR-Propaganda.

20 Jahre Berlin waren andererseits nicht lang genug, dass ich zu Berlinern Pfannkuchen sagen würde. 20 Jahre sind noch lange nicht genug, dass ich der Stadt müde geworden wäre. Im Gegenteil, ich bin so glücklich wie am allerersten Tag. Und noch immer gibt es Neues zu entdecken. Am Sonntag war ich zum ersten Mal in der Villa Oppenheim, wo zurzeit die poetischen Arbeiten von Tacita Dean zu sehen sind. Die englische Künstlerin kam 2000 mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin – und war so angetan, dass sie gar nicht mehr nach Hause ging. Sie befindet sich bekanntlich in großer Gesellschaft. Wenn man heute im Ausland erzählt, dass man aus Berlin kommt, kriegt man das Gefühl, die Leute würden noch Eintrittsgeld zahlen, um hierherzuziehen. Meine Wohnung kriegen sie nicht. Susanne Kippenberger

Villa Oppenheim, Schloßstr. 55, Charlottenburg, Tacita Dean, „In My Manor“, bis 15.2.

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