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Szene aus den „Drei Schwestern“.

© Ute Langkafel

Zwei Stücke am Gorki Theater: Die Frösche mit den Masken

Erinnerungen aus dem Regiebaukasten: Das Gorki Theater feiert mit „Mutter Courage“ und „Drei Schwestern“ seinen 70. Geburtstag.

Eigentlich eine gute Art, seinen Geburtstag zu feiern: Das Berliner Maxim Gorki wird siebzig und versucht, die Gegenwart zu vermessen, indem es in die Theatergeschichte zurückblickt. Zwei inhaltlich schwergewichtige Premieren hat das Haus sich zum Jubiläum spendiert. Im Studio setzt sich Christian Weise mit Thomas Langhoffs „Drei-Schwestern“-Inszenierung aus dem Jahr 1979 auseinander, einem der größten Hits in der Historie des Ostberliner Theaters überhaupt.

Und auf der großen Bühne nimmt sich Oliver Frljic - seit Beginn dieser Spielzeit künstlerischer Co-Leiter an der Seite von Gorki-Intendantin Shermin Langhoff - Bertolt Brechts Antikriegsklassiker „Mutter Courage“ vor: weniger unmittelbar hausbezogen, aber theaterhistorisch allemal hochrelevant und vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs von geradezu deprimierender Tagesaktualität.

Sie sollten uns heute also einiges zu sagen haben, die Klassiker von gestern. Los geht’s bei Weises „Drei Schwestern“ auf der Studiobühne mit einer Videokassette, die sich derart krisselig über die hintere Bühnenwand ergießt, dass der historische Abstand überdeutlich wird. Die Schauspielerinnen Monika Lennartz, Ursula Werner und Swetlana Schönfeld flimmern da überlebensgroß übers Szenario.

Olga, Mascha und Irina aus der damaligen Inszenierung, die bis 1993 im Repertoire blieb und die Langhoff selbst fürs DDR-Fernsehen verfilmt hatte. Der Ton ist in Weises Inszenierung allerdings ausgeschaltet. Den sprechen die drei gegenwärtigen Ensemblemitglieder Emre Aksizoglu, Oscar Olivo und Karim Daoud live auf der Bühne ein und imitieren dabei auch die Bewegungen der Leinwandspielerinnen.

Im Publikum wird gelacht. Zu recht, denn: Das wirkt lächerlich. Nicht nur, weil sich die Haltung nicht erschließt, mit der die Bühnenakteure agieren: Ist das noch eine irgendwie um Vieldeutigkeit bemühte Hyperaffirmation oder schon eindimensionale Parodie? Sondern auch, weil die Schauspieler - Weise arbeitet für diesen Abend mit einem ausschließlich männlichen Ensemble - in froschgrünen Ganzkörperanzügen stecken, die albern aussehen.

Mühevolle Einverleibung

Es dauert nicht lange, bis man ahnt, dass das den ganzen zweistündigen Abend lang so weitergeht - und die Befürchtung wird leider nicht enttäuscht. Zwar wechseln aktweise die Kostüme, aber das Konzept bleibt. Fast die ganze Inszenierung sieht man so stumm im Hintergrund ablaufen. Die „respekt- und mühevolle Einverleibung des Vergangenen“ könne „einen besonderen Raum“ öffnen, heißt es im Programmzettel.

Das ist theoretisch sicher möglich. Aber praktisch öffnet sich hier gar nichts. Der Abend weiß genauso wenig über die Gegenwart zu erzählen wie über die Vergangenheit. Weder erfährt man etwas über die Tschechow-Figuren vor den verschiedenen gesellschaftshistorischen Hintergründen, noch über die Spielerinnen und Spieler, die sie sich damals oder heute angeeignet haben.

Zusammengestutzt auf Allgemeinplätze

Daran ändern auch die kurzen Schnipsel aus einem Interview mit den damaligen Akteurinnen nichts, die der Regisseur offenbar im Kontext der Produktion geführt hat und die irgendwann eingeblendet werden: Zusammengestutzt auf Allgemeinplätze grenzt dieses Intermezzo an konzeptionelle Fahrlässigkeit.

„Die Zeiten damals waren schlechter, die Theaterarbeit besser“, ragt da quasi schon als Komplexitätsmonolith heraus. Und dabei sind das doch genau die Sätze, mit denen die inhaltliche Arbeit klassischerweise beginnt statt bereits zu enden.

Auf welche Weise war denn das DDR-Theater eigentlich politisch - und auf welche Weise sind es die Bühnen heute? Das wäre nur eine Frage, die sich gewinnversprechend hätte diskutieren lassen.

Die zweite Jubiläumspremiere, Frljics Brecht-Inszenierung „Mutter Courage“ auf der großen Bühne, verkneift sich aktuelle Einsprengsel von vornherein und vertraut komplett auf eine zeitlose Wirkungskraft des Textes - sicher auch wegen der Brecht-Erben.

Kriegsgewinnlerin, Kriegsverliererin

Schließlich ist Oliver Frljic eigentlich als Regisseur bekannt, der Stoffe eher explizit und beherzt auf aktuelle gesellschaftspolitische Schmerzpunkte hin aktualisiert. Aber die „Courage“ als kleine Marketenderin, die am Krieg ihren Schnitt zu machen versucht und dabei all ihre Kinder an ihn verliert, könnte im gegenwärtigen Kontext vielleicht auch genau so funktionieren. Frljic allerdings lässt den Text mit ständigen Rollenwechseln eher rasant abspulen als spielen - diesmal von einem rein weiblichen Ensemble.

Jede ist mal die Courage, mal ihre Tochter, die stumme Kattrin und so weiter. Schuldig machen sich - soll uns das wohl sagen - alle gleichermaßen; Widerstand zu leisten, wo er etwas kostet, sind die wenigsten imstande. Sicher wahr, aber trotzdem erfährt man über Schuld vergleichsweise wenig aus dieser Inszenierung, die durch den Plot hetzt, die multiplizierte Courage statt des legendären Planwagens immer wieder Särge mit Leichen hinter sich herziehen und auch leichenstarre Figuren vom Schnürboden herunterfahren lässt.

Als am Schluss die Stimme von Helene Weigel eingespielt wird - der Courage-Darstellerin aus Brechts legendärer Inszenierung - stellt sich ein ähnlich denkwürdiger Effekt ein wie beim Blick auf die Leinwand in Weises „Drei Schwestern“.

Man bekommt große Lust, sich komplett auf die historische Vorlage zu konzentrieren. Weil die versprochene aktuelle Auseinandersetzung in beiden Fällen eher wie ein Formenspiel aus dem zeitgenössischen Regiebaukasten wirkt (Reenactment, Crossgender-Besetzung) als wirklich etwas zu erzählen. Das kann das zeitgenössische Theater eigentlich besser - auch am Gorki.

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