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 Der Jazz-Pianist Jesús „Chucho“ Valdés spielt rasende Tempi. 

© OCP Photography Miami

Lust auf Tanz und Bewegung: Surfer auf den Wellen des „Jazz americano“

Melodische Sternschnuppen: Chucho Valdés und sein Yoruban Orchestra zu Gast im Haus der Kulturen der Welt.

Von Roman Rhode

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Es ist eine Art Prolog, den der Meister zunächst auf dem Steinway zelebriert, ein langes Solo aus blanken Höhen und grollenden Tiefen. Bald gesellen sich Congas, Schlagzeug und ein pulsierender Kontrabass hinzu. Auf den Rhythmuswogen, die sich dann auftürmen, tänzelt der Pianist wie ein entspannter Surfer. Und in rasenden Tempi rauscht er den mächtigen Wellen mit einem verschmitzten Lächeln voraus.

Jesús „Chucho“ Valdés, der mit seinen 81 Jahren zu den besten Jazzpianisten der Welt zählt, ist seinem musikalischen Prinzip treu geblieben: Über ein solides Fundament afro-kubanischer Perkussion legt er sein farbenfrohes, oft spielerisches, manchmal dramatisches Klavierspiel – die Gischt in der Brandung.

Als Valdés seine Karriere in den 1960er Jahren begann, war der Jazz im revolutionären Kuba wegen seiner Nähe zu den USA nicht wohlgelitten. Auch deshalb setzte Valdés in seiner Musik aufs – im sozialistischen Staat akzeptierte – afrokubanische Erbe; jene Wurzeln, die Sklaven vor allem aus Westafrika auf die Zuckerinsel gebracht hatten: Perkussion und Ahnenkult.

Der „Santería“ lebt bis heute fort

Aus der Yoruba-Religion entwickelte sich ein Mischkult aus Katholizismus und Magie, der bis heute als „Santería“ fortlebt. Chucho Valdés, der sich selbst zu dieser Religion bekennt, ließ dieses afrikanische Substrat in die von ihm 1973 gegründete Jazzrock-Band Irakere einfließen, mit der er 1980 seinen ersten Grammy erhielt. Drei weitere folgten später.

Sein ambitioniertes Alterswerk präsentiert er nun im Haus der Kulturen der Welt: „La creación“ – die Schöpfungsgeschichte aus Yoruba-Perspektive. Mit der musikalischen Leitung für diese Bigband-Suite hat Valdés zwei hochkarätige Pianisten und Arrangeure beauftragt, die beide an Synthesizern sitzen: Hilario Durán, ein begnadeter Komponist für afrokubanische Orchesterstücke, sowie der US-Amerikaner John Beasley, den Miles Davis 1989 in seine Band geholt hatte, und der an diesem Abend auch ein digitales Blasgerät zum Mund führt.

Die Bühne wirkt wie ein gestaffelter Altar. Unten steht der Hohepriester mit einem Ifá-Orakel um den Hals, der zugleich die drei rituellen Batá-Trommeln schlägt, um Oludumare, das Universum, anzurufen. Flankiert wird er von einem Chor aus Sängerin und Sängern, die nun auch andere Gottheiten zur Zeremonie bitten: Obatalá, den Schöpfer der Erde und der Menschen, oder Yemayá, die lebensspendende Mutter und Göttin des Meeres.

Ein farbenprächtiges, polyrhythmisches Feuerwerk

Alle afrokubanischen Gottheiten, die „Orishas“, steigen nur dann herab, wenn die Musik sie aus ihrem Pantheon zu locken vermag. Dafür sorgen die brillante Rhythmusgruppe im Zentrum, die sich wie ein farbenprächtiges, polyrhythmisches Feuerwerk entlädt, aber auch die melodischen Sternschnuppen der Bläser ganz oben. D

ie beiden Synthesizer am Rand steuern sparsame Harmonien bei, und Chucho Valdés, an seinem Flügel etwas entrückt vom Bühnenaltar, leitet erzählerisch über von Satz zu Satz, zitiert grinsend Bach und Beethoven, Chopin und Ernesto Lecuona, manchmal sogar sich selbst.

Plötzlich kommt die Bigband zur Ruhe, verfällt in einen gemächlichen Swing. „Jazz americano!“, jubeln die zahlreichen Kubaner im Publikum.

Die Zugabe ist der Irakere-Hit „Bacalao Con Pan“ von 1974. Pure Tanzmusik. Und jetzt, da sich das Publikum endlich von den Sitzen losreißt und sogar auf der Bühne Rumba tanzt, offenbart sich die vielleicht wichtigste Etappe der Schöpfungsgeschichte: die Geburt der Menschen, die ungezügelte Lust an Musik und Bewegung.

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