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Medien: Der Deutschland-Ermittler

Korruption, Affären und Skandale – worüber Hans Leyendecker schreibt, spricht die Republik

Es riecht nach frisch gemähtem Gras. In den Vorgärten blüht und grünt es. Man grüßt sich mit freundlichem Nicken, auch wenn man sich nicht kennt. In Leichlingen, zwanzig Zugminuten von Wuppertal entfernt, scheint die Welt friedlich. Und doch werden hier Affären enthüllt, Korruptionen aufgedeckt, Skandale recherchiert. In Leichlingen wohnt und arbeitet Hans Leyendecker, der leitende politische Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, den die „Welt“ einmal den „renommiertesten Enthüllungsjournalisten“ nannte, die „Berliner Zeitung“ einen „Wühler“, die deutsche „Financial Times“ den „wohl erfolgreichsten deutschen Investigativjournalisten“.

Sein Durchbruch war die Aufdeckung der Flick-Affäre vor mehr als zwei Jahrzehnten. Seinen größten Flop erlebte der 56-Jährige Anfang der 90er Jahre, als er zu wissen glaubte, der RAF-Terrorist Wolfgang Grams sei in Bad Kleinen hingerichtet worden. Den meisten Wirbel löste Leyendecker mit seinen Recherchen in der Parteispendenaffäre der CDU aus. 2001 erhielt er dafür den Wächterpreis. In den vergangenen Wochen erschienen unter seinem Namen auch Details zur Affäre bei Volkswagen. Leyendecker hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem „Die Korruptionsfalle“ und „Die Lügen des Weißen Hauses“. Bei amazon steht, Leser von Leyendecker-Büchern kaufen auch die Bücher von Bob Woodward und Seymour M. Hersh. Ist Leyendecker zu vergleichen mit jemandem wie Woodward, einem der beiden Watergate-Enthüller, oder Hersh, der im „New Yorker“ den Folterskandal in Abu Ghraib bekannt gemacht hat?

Leyendecker sagt: „Ich behaupte von mir nicht, dass ich investigativ arbeite. Investigativ zu arbeiten bedeutet Ereignisse aufzudecken, von deren Existenz niemand zuvor wusste.“ Rechercheur, ja, das sei er. Manchmal noch weniger als das, denn „ich werte ja oft nur Akten aus, stütze mich also auf die Arbeit, die schon andere vor mir erledigt haben“. Dieser unscheinbare, grauhaarige Mann wirkt friedfertig und bescheiden, wie er in seinem Garten in Hemd, Hose und Sandalen sitzt. Er kann aber auch anders. Er weiß: „Meine Geschichten sind möglicherweise besser als die der Konkurrenz.“

Der vor zwei Jahren verstorbene „Spiegel“-Journalist Gerhard Mauz, mit dem ihn eine große Freundschaft verband, habe einmal zu ihm gesagt: „Leyendeckerchen, nimm dich nicht so wichtig. Wenn du die dritte Stelle hinterm Komma änderst, hast du viel erreicht.“ Leyendecker sagt, erst mit zunehmendem Alter habe er diesen weisen Satz verstanden. „Ich glaube nicht an die verändernde Wirkung von Journalismus.“ So oft hat er über Korruptionsfälle geschrieben, und immer wieder kommen neue hinzu, die noch undurchschaubarer sind, in denen es um noch höhere Summen geht. Korruption ist nicht aus der Welt zu schaffen, indem man über sie schreibt. Und doch kann man sagen, hat es eine reinigende Wirkung auf Gesellschaft, Politik und Demokratie, wenn durch die journalistische Arbeit eines Leyendeckers mal wieder gelingt, dass ein Fall auffliegt.

Leyendecker volontierte beim „Stader Tageblatt“ und arbeitete bei der „Westfälischen Rundschau“, bevor er 1979 zum „Spiegel“ kam. Das Nachrichtenmagazin wurde seine Heimat. Erst war er im Düsseldorfer, dann im Bonner Büro. Nach dem Abgang des damaligen Chefredakteurs Hans Werner Kilz zur „SZ“ holte Nachfolger Stefan Aust den Rheinländer nach Hamburg. Am Wochenende fuhr er nach Leichlingen. 1997, nach diversen, auch lautstarken Auseinandersetzungen mit Aust, hat Leyendecker gekündigt. Fristlos. Er ging zur „SZ“, zu Kilz. Leyendecker ist bei dem Münchner Blatt fest angestellt, hat aber das Recht, von Leichlingen aus zu arbeiten.

Im Garten streunt Mischlingshündin Flora durch die Büsche, die alte Katze schleicht sich aus dem Wintergarten nach draußen und legt sich auf die Bank neben Leyendecker. Hier draußen ließe sich gut arbeiten. Doch zum Arbeiten sitzt Leyendecker im Haus, ganz oben, in einem kleinen Raum, der wegen der schrägen Wand noch winziger wirkt. Ein Ventilator kämpft gegen die Sommerhitze an. Links ein drehbares Regal voller Ordner, thematisch sortiert, dahinter der Schreibtisch mit Unterlagen, Telefon und Computer, rechts das Bücherregal, auf dem Boden zwei aufgeschlagene Ordner über VW. Nichts lenkt ab. Anders als im restlichen Haus steht kein Krimskrams herum, es hängen keine Fotos von den fünf Kindern und sechs Enkeln an der Wand. Eine schmale Treppe führt direkt unter das Dach. Hier stauen sich Leitzordner, die gerade nicht gebraucht werden. Leyendecker sagt: „Ich bin ein Leitzordner-Journalist. Ich will die Strukturen, das System verstehen, die Menschen dahinter interessieren mich nicht sonderlich.“

Die Vermutung, Leyendecker halte sich bewusst vom vereinnahmenden Politikbetrieb und aufgeregten Journalistenkreisen fern, ist falsch. Melancholie schimmert durch, wenn er nach dem Leben in Berlin fragt. Manchmal wäre er gern näher dran an den Geschichten und den Leuten, die in seinen Recherchen eine Rolle spielen. Aber er hat sich mit seiner Frau ein Leben in Leichlingen eingerichtet. „Der Vorteil ist: Ich muss auf keine Konferenzen, nichts lenkt mich ab. Der Nachteil: Ich habe in München wenig soziale Kontakte, weil ich zu selten in der Zentrale bin. Auch Journalisten brauchen manchmal Wärmestuben.“ Leyendecker hat auch kein Sekretariat. Die Post macht er selbst. Täglich kommen Briefe, auf die er nicht gewartet hat. „Die Leute schicken oft Unterlagen, wenn sie mich im Fernsehen gesehen haben und glauben, ich sei jemand, der sich kümmert und helfen könne, etwa bei Nachbarschaftsstreitigkeiten.“ Zwei Tage später fragen sie telefonisch nach, ob er es gelesen habe. Er erklärt sich dann, schickt die Sachen zurück oder leitet sie weiter. Wenn wie bei der VW-Affäre gleichzeitig auch noch zwölf Rundfunk- und vier Fernsehsender etwas von ihm wollen, sagt er manchmal am Telefon: „Herr Leyendecker ist nicht da.“ Es gibt keinen Grund zu jammern. „Ich hab es selbst so gewählt.“

Als Journalist hat er sich über die Jahre zu einem grandiosen Selbstvermarkter gemausert. Er sitzt auf Podien, in Seminaren, ist im Beirat von Transparency International, einer Organisation gegen Korruption. Außerdem sitzt er im Vorstand der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ und engagiert sich bei der Universität Witten/Herdecke. Er kommentiert in mehreren Radiosendern, tritt als Experte für Terror, Spendenaffären, Waffenhandel oder den Pfahls-Prozess auf. Auch im Fernsehen ist er zu sehen. In Maybrit Illners Runde saß er in diesem Jahr schon dreimal. Es ging um den Fußball-Wettskandal, die Visa-Affäre und Nebentätigkeiten von Politikern. Vor allem Fernsehauftritte seien hilfreich, sagt er, denn so erhöht sich sein Bekanntheitsgrad. Das bringt Informanten, und die „SZ“ hat von dieser Form der Eigenwerbung ja auch etwas. Aber er weiß auch: „Die ständige Präsenz vermittelt Kollegen außerhalb der ,SZ’ vermutlich den Eindruck: Der hat anscheinend nix zu tun.“

Es sind immer die gleichen Vorwürfe, die über Leyendecker zu hören sind. Parteiisch sei er, Feindbilder habe er, ja, er sei geradezu blind, wenn es um Altbundespräsident Johannes Rau, den früheren SPD-Politiker und heutigen Verlagsmanager Bodo Hombach und die nordrhein-westfälische SPD gehe. Leyendecker kann sich maßlos ärgern über solche Verdächtigungen. „Ja, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas anderes als die SPD gewählt, völlig egal, wer gerade kandidierte. Aber das hat doch keinen Einfluss auf meine Arbeit.“ Im Gegenteil, SPD-Geschichten sei er „eher härter angegangen, weil ich die Erwartung habe, dass gerade bei dieser Partei bestimmte Dinge nicht passieren dürfen. Anders als bei der FDP, von der man sowieso nicht erwartet, dass immer alles sauber zugeht.“ Im Übrigen sei es geradezu Rufmord gewesen, wie manche Medien im Fall Hombach und dem Verdacht der Vorteilsnahme beim Bau seiner Privatvilla geschrieben hätten. Er kenne die Faktenlage genauestens, da sei nichts dran. Und Rau sei einer, der viel zu vorsichtig sei, um sich in irgendwelche Mauscheleien verwickeln zu lassen.

Den Vorwurf, er sei ein „Kampagnero“, der seine Recherchen in der Zeitung inszeniere, weist Leyendecker nicht von sich. Anhand der Parteispendenaffäre erzählte er einmal, wie er hier eine Bemerkung fallen ließ, dort einen Zusammenhang spann und die Geschichte ganz langsam entwickelt habe. Irgendwann gab es dann eine große Themenseite, auch da hielt er einiges von seinem Wissen zurück. „Ja, das war inszeniert, ja das war eine Kampagne“, sagt Leyendecker. „Die Tatsache, dass der ehemalige Kanzler 16 Jahre lang ein System schwarzer Kassen geführt hat, fand ich ungeheuerlich. Man muss eine Geschichte portionsweise erzählen, wenn man das Gefühl hat, dass sie sonst in der Öffentlichkeit keine Wirkung hätte. Man muss eben dafür sorgen, dass die Leute zuhören.“

Pfarrer wollte er werden und wurde Journalist. Zu wissen, wie man vor voller Kirche predigt, hilft in beiden Berufen.

Hans Leyendecker , 56, ist einer der bekanntesten deutschen Journalisten. 18 Jahre lang recherchierte er für den „Spiegel“ , seit 1997 schreibt er für die „Süddeutsche Zeitung“ .

Mit seinen akribischen Recherchen deckte er zahlreiche Skandale auf oder trug zumindest maßgeblich zu ihrer Aufklärung bei: Dazu gehören der Parteispendenskandal, die Flick-, die Visa- oder die VW-Affäre. Für seine Erfolge wird er bewundert, doch er polarisiert auch.

Leyendecker wollte ursprünglich Feuilletonist werden. Das spürt man noch immer, zum Beispiel wenn er mal wieder in einem seiner Artikel Vergleiche zur Literatur zieht.

Starke mediale Präsenz führte dazu, dass sein Gesicht einem breiteren Publikum bekannt ist.

Leyendecker lebt und arbeitet in Leichlingen , einem Städtchen im Bergischen Land.

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