Meinung: Affektgesteuert, affektgestört
Was gibt es da zu jubeln? – Einige deutsche Reaktionen auf den Tod Osama bin Ladens
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Im Jubel geben sich die Amerikaner wieder einmal zu erkennen: als archaische, rachsüchtige Krieger. „Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt?“, fragt der WDR-Chefredakteur in seinem Fernsehkommentar nach dem Tod des Terroristen Osama bin Laden – und er ist nicht der einzige. Im affektgestörten Deutschland wimmelt es plötzlich von Großmuftis, die genau erklären können, warum eine Seebestattung unislamisch und somit ein Affront gegen die Muslime dieser Welt ist; von Großethikern, die beweisen, dass man über den Tod des Feindes nicht jubeln darf; und natürlich von Großjuristen, die wie immer alles besser wissen.
„Eindeutig ein Verstoß gegen das geltende Völkerrecht“, sagte Helmut Schmidt bei „Beckmann“. Derselbe Helmut Schmidt, der die Flugzeugentführer in Mogadischu durch die Antiterrortruppe GSG 9 erschießen ließ, bevor sie nach einem Anwalt fragen konnten? Hätte Schönenborn damals kommentiert: „Mein Verständnis von einem Rechtsstaat ist es nicht, dass Mörder einfach abgeknallt werden“?
Die eindrucksvolle militärische Aktion der Amerikaner, die zum Tod des Terroristen Osama bin Laden geführt hat, ist vielen Deutschen offenbar nicht geheuer. Das Misstrauen lässt sich an den weit verbreiteten Abwehrreaktionen ablesen: Bin Laden hatte für das operative Wirken von al Qaida gar keine Bedeutung mehr; es gab kein rechtsstaatliches Verfahren; das schnelle Entledigen des Leichnams ist verdächtig; die Rache und der Jubel der Amerikaner über einen Toten ist unzivilisiert; die muslimische Welt hatte sich längst von ihm abgewandt; alles reiner Wahlkampf. Kurz, die Aktion der Amerikaner kam zu spät und war eigentlich überflüssig. Dass die Amerikaner entscheidende Hinweise auf das Versteck bin Ladens zudem durch ihre fragwürdige Befragungsmethoden in Guantanamo erhielten, entwertet die Aktion endgültig. Was soll es zu jubeln geben?
Daraus spricht ein Hochmut, alles besser machen zu können, der auch gegenüber den Amerikanern immer wieder gern zum Ausdruck kommt. Die Deutschen, so klingt es, hätten bin Laden nicht erschossen, sondern bei einem nächtlichen Gespräch zur Aufgabe überredet. Und dann nach Stuttgart-Stammheim gebracht? Nein, das wiederum hätte niemand gewollt, wie die Deutschen schon in der Vergangenheit keine Guantanamo-Häftlinge aufnehmen wollten. Dieses Problem zu lösen, ist schließlich Sache der Amerikaner. Dieser Hochmut hat mit der Realität eines solchen Einsatzes nichts zu tun.
Zugleich spricht daraus eine geschichtslose Leichtigkeit, die längst das Thema gewechselt hat. Der neue Böse heißt Gaddafi, und gegen den wirkt die amerikanische Fehde gegen bin Laden nur noch nachtragend. Dass die Amerikaner in Abbottabad sich dem Risiko eines direkten Einsatzes ausgesetzt haben, um den Schaden zu begrenzen, wird bedeutungslos, wenn in Libyen bereits der Tyrannenmord auf der Tagesordnung steht. Gaddafis Sohn, nicht einmal ein Mörder, wurde vor wenigen Tagen aus der Ferne abgeknallt von einer Nato-Rakete. Dazu hatten die Schönenborn-Rechtsstaatler nichts zu sagen. Sie waren vermutlich gerade dabei, ihre Hände in Unschuld zu waschen.
Der anti-amerikanische Subtext bei der unenthusiastischen Reaktion auf die Tötung von bin Laden ist jedoch nicht entscheidend. Bemerkenswert ist vielmehr die Distanz, die daraus spricht. Als ob Deutschland bei diesem Krieg gegen den Terror nicht mehr beteiligt wäre. Als ob es keine Bundeswehr in Afghanistan gäbe. Als ob Mohammed Atta nicht in Deutschland gelebt hätte. Als ob die Deutschen in Dscherba an einer Fischvergiftung gestorben wären. Mit dem Tod von Osama bin Laden endet auch für Deutschland erst das alles andere als ruhmreiche Kapitel vom 11. September 2001.
Zehn Jahre lang blieben die Amerikaner Osama bin Laden diszipliniert auf der Spur. Die Deutschen haben diese Zeit genutzt, um sich von ihrer eigenen Verantwortung zu lösen. So sehr, dass die deutschen Beerdigungsexperten, Außenpolitikethiker und Fernsehvölkerrechtskommentatoren meinen, nun herablassend Kürnoten verteilen zu können.
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