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Jubelnde Ägypter nach dem Sturz Mursis. Ein Rückschritt für die politische Transformation in Ägypten, meint Volker Perthes.

© AFP

Gastkommentar: Putsch in Ägypten

Nach Muhammad Mursis Absetzung in Ägypten sollte von deutscher und europäischer Seite darauf gedrängt werden, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen sowie sicherzustellen, dass bei der nächsten Parlamentswahl Vertreter aller politischen Richtungen faire Chancen haben, meint Volker Perthes.

Mit der Absetzung von Präsident Muhammad Mursi ist der politische Transformationsprozess in Ägypten zurückgeworfen worden. Natürlich handelt es sich bei diesem Eingreifen des Militärs mit Aufhebung der Verfassung, Verhaftung des ersten je frei gewählten Präsidenten Ägyptens und Einsetzung eines Übergangspräsidenten um einen Putsch - und nicht einfach, wie die Unterstützer der Aktion verlauten lassen, nur um eine "Korrekturbewegung" - ein in der arabischen Welt übrigens nicht zum ersten Mal benutzter Begriff für einen militärischen Umsturz. Traurige Ironie dabei ist, dass hier ein Militär geputscht hat, das eigentlich nicht putschen wollte, sondern bis kurz vor dem Coup noch versucht hatte, die verschiedenen politischen Lager zu einem Konsens zu bewegen. Die Angst der Militärs, eine anhaltende Selbstblockade des ägyptischen politischen Systems könne zu weiterer Gewalt und schließlich zu Unregierbarkeit führen, war durchaus berechtigt.

Der knappe Wahlsieg Mursis war eine Herausforderung für die junge Wahldemokratie Ägypten

Verantwortung für diese Misere tragen viele, natürlich auch Präsident Mursi selbst und seine Muslimbruderschaft. Der größte Vorwurf, den man Mursi machen muss, ist wohl, dass er nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte, dass ein so knapper Wahlsieg wie der, mit dem er vor einem Jahr im zweiten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden war, auch besondere Verantwortung mit sich bringt. Gerade in einer so jungen Wahldemokratie wie der ägyptischen wäre es wichtig gewesen, sich um eine breit aufgestellte Regierung zu bemühen und das Land zu einen. Inzwischen hat Mursi auch viele derer verloren, die ihn vor einem Jahr noch unterstützt haben. Am meisten geschadet hat seinem Ansehen sicher die Art und Weise, in der er eine in Teilen umstrittene Verfassung durchgeboxt und sich damit selbst über die Justiz zu stellen versucht hat. Die Muslimbruderschaft und ihre Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, auf die der Präsident sich im Wesentlichen stützte, blieb eine intransparente Kaderorganisation, die durch Jahrzehnte der Illegalität und Verfolgung geprägt war und keinerlei Regierungserfahrung mitbrachte. Autoritäre Reflexe nicht zuletzt gegenüber kritischen Journalisten und Aktivisten aus der Zivilgesellschaft brachten gerade auch die Revolutionsjugend gegen den Präsidenten auf. Dazu kam die Enttäuschung, dass die wirtschaftliche und soziale Situation im Land sich in dem einen Jahr der Herrschaft Mursis nicht verbessert hat.

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Die Opposition hat auf die Blockade des Systems gesetzt

Hier kommt dann auch die Verantwortung der anderen politischen Kräfte ins Spiel. Die Führer der wichtigsten Oppositionsparteien, die sich gern als liberal, im Ausland auch schon mal als säkular bezeichnen lassen, waren sich vor allem einig darin, Mursi scheitern zu lassen. Sie haben dafür auf die Blockade des Systems gesetzt - etwa durch ihre frühzeitige Ankündigung, Parlamentswahlen, die sie nicht gewinnen könnten, zu boykottieren -, haben zum Teil auch mit Gewalt auf den Straßen kokettiert und auf ein Eingreifen des Militärs zu ihren Gunsten gesetzt. Die Spitzen der Justiz und große Teile der alten staatsbürokratischen Elite haben Mursi seinen Wahlsieg ebenfalls nicht verziehen und das ihre getan, ihn auszubremsen: nicht zuletzt durch die Auflösung des Anfang 2012 gewählten Parlaments, nach der der Präsident neben dem nur teilweise gewählten Oberhaus tatsächlich die einzige durch freie Wahlen legitimierte Autorität geblieben war. Entwürfe für ein neues Wahlgesetz wie auch andere Gesetzesvorhaben wurden von der Judikative mehrfach zurückgewiesen. Dringend notwendige wirtschafts- und sozialpolitische Reformvorhaben wie auch die Unterzeichnung des mühsam ausgehandelten Kreditabkommens mit dem Internationalen Währungsfonds blieben liegen.

Das Militär hatte sich ursprünglich mit Mursi arrangiert, sieht sich aber als eine Art Oberster Wächter des Staates und der öffentlichen Ordnung. Eine Einigung zwischen Mursi und der Opposition auf eine Regierung der nationalen Einheit wäre den militärischen Führern zweifellos lieber gewesen als ein Putsch. Der Generalstabschef und die militärische Führung im Ganzen wollen eigentlich nicht regieren. Die Erinnerungen an zornige Demonstrationen gegen den "Obersten Rat der Streitkräfte", der die eineinhalb Jahre vor der Wahl Mursis an der Macht war, sind noch zu frisch. Die Vorwürfe gegen das Militär damals unterschieden sich übrigens nicht so sehr von dem, was die Protestbewegung gegen Mursi diesem vorgeworfen hat: eine autoritäre Regierungsführung, die desolate wirtschaftliche und soziale Lage sowie den "Diebstahl" der Revolution.

Die Errungenschaften der Revolution sind nicht alle verloren

Tatsächlich sind nicht alle Errungenschaften des Aufstands oder der Revolution von 2011 nun ungeschehen gemacht worden. Deren wichtigste ist wahrscheinlich, bei allen Widersprüchlichkeiten der öffentlichen Auseinandersetzungen, das weit verbreitete Bewusstsein, dass Regierungen nicht aus sich heraus legitim sind, sondern den Willen des Volkes ausdrücken müssen. Was eben auch heißt, dass jede Regierung, ob sie nun gewählt oder ungewählt ist, sich Massenprotesten gegenübersehen wird, wenn sie demokratische Freiheiten einschränkt oder notwendige Schritte zur Wiederbelebung der Wirtschaft ausbleiben.

Für deutsche und europäische Politik gibt es keinerlei Anlass, den Coup gegen Mursi anzuerkennen oder gar gutzuheißen. Rückgängig machen lässt er sich allerdings nicht. Zumindest die Forderung, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen, die immerhin einen ausführlichen Grundrechtekatalog enthält und bei allen Mängeln besser war als gar keine, sollten europäische Regierungen aufrechterhalten. Desweiteren bleibt zunächst nur die Mahnung, möglichst rasch Parlamentswahlen anzusetzen und sicherzustellen, die den Vertretern aller politischen Richtungen, auch der Muslimbruderschaft, faire Chancen bieten. Eine Unterdrückung und Verfolgung der Anhänger des gestürzten ägyptischen Präsidenten würde islamischen Parteien und Richtungen überall in der arabischen Welt signalisieren, dass Demokratie eben doch - zumindest für sie - keine Option ist.

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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