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Meinung: Das Duell um die Macht: Mut, nicht Hochmut

Die Versuchung für die SPD ist groß, gegen Edmund Stoiber einen Wahlkampf der Provokation zu führen. Wie das in etwa aussehen könnte, hat Franz Müntefering am Wochenende vorgemacht: Über den Kontrahenten schimpfen, ihn beschimpfen, beleidigen, verunglimpfen.

Die Versuchung für die SPD ist groß, gegen Edmund Stoiber einen Wahlkampf der Provokation zu führen. Wie das in etwa aussehen könnte, hat Franz Müntefering am Wochenende vorgemacht: Über den Kontrahenten schimpfen, ihn beschimpfen, beleidigen, verunglimpfen. Und immer darauf hoffen, dass der andere sich reizen lässt, wütend überreagiert, aus der Rolle fällt - damit die schlimmsten Zerrbilder bestätigt werden.

Völlig vergeblich muss die Hoffnung nicht sein, dass diese Rechnung wenigstens teilweise aufgehen könnte. Denn Stoiber war in der Vergangenheit in der politischen Auseinandersetzung für nervöse rhetorische Spontanleistungen, die über das Ziel hinausschießen, immer gut. Darin liegt tatsächlich eine gewisse Gefahr. Sollte die SPD hierauf setzen, so kalkuliert sie damit, dass Stoiber sich selbst der ärgste Feind ist.

Das allein wäre allerdings ein bisschen wenig als Wahlkampfstrategie. Denn womöglich wird Stoiber einem ja nicht den Gefallen tun, sich provozieren zu lassen. Und nach einem schmutzigen, polemischen Wahlkampf steht den Menschen nicht der Sinn. Sie wollen tatsächlich jenen "argumentativen" Wahlkampf, den Stoiber versprochen hat: einen Wettstreit der Ideen und Konzepte zur Wiederbelebung der Wirtschaft, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur sozialen Sicherung, zur inneren Sicherheit.

Vielleicht kann Schröder dabei sogar glaubwürdig versichern, dass in den vier Jahren, die Rot-Grün zur Verfügung standen, mehr noch nicht möglich gewesen ist. Doch das wird nur dann gelingen, wenn er zugleich jene Inspiration und Kraft ausstrahlt, der man zutraut, nächste Schritte zu gehen. Danach sieht es einstweilen noch nicht aus. Denn aus der ruhigen Hand, die Markenzeichen werden sollte, ist eine zittrig und halbherzig reagierende geworden. Die zaghafte Ausweitung von Kombilohn-Programmen wird kaum die Chance haben, als großer Wurf zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in die Geschichte einzugehen. Auch die nach Art des Frontalunterrichts als wirtschaftsfreundlich beschworene Steuerreform wird als Weisheit letzter Schluß eben jenen Mittelstand kaum begeistern, der von Schröder enttäuscht ist und der sich missachtet fühlt, aus dem aber die Wachstumskräfte kommen müssten. Neue Anstrengungen sind zudem vonnöten, die unerfüllten Versprechen, etwa eine entscheidende Senkung der Lohnnebenkosten, endlich einzulösen. Von der Zukunftssicherung der Sozialsysteme - insbesondere dem Gesundheitswesen - ganz zu schweigen.

Der Wahlkampf wird, so viel scheint sicher zu sein, ganz wesentlich im Zeichen der Wirtschaft stehen. Hier kann Stoiber "argumentativ" auftrumpfen. Und Schröder wird sich dem nicht entziehen können. Wie seine Antworten in diesem Wettstreit aussehen, steht in den Sternen. Am Ende der Legislaturperiode wirkt Rot-Grün seltsam matt und erschöpft. Weil Regieren so anstrengend ist? Oder weil die Ideen ausgegangen sind? Vom Anspruch, die Reformkraft in Deutschland zu sein, ist jedenfalls schon lange nichts mehr zu hören. Was in sich ja auch stimmig ist, wenn man, wie der Bundeskanzler auf seiner gestrigen Pressekonferenz, der Meinung ist, im Grunde doch schon alles getan zu haben - ja, mehr sogar, als man erwarten durfte.

Nur eine Kontur der SPD-Wahlkampfstrategie zeichnet sich bereits jetzt deutlich ab: "Auf den Kanzler kommt es an." Die Pose des in Krieg und Amtsgeschäft gestählten Staatsmanns beherrscht der Regierungschef mittlerweile auch ganz vorzüglich. Allerdings gibt es für jenen Slogan einen historischen Vorläufer, den Schröder genau vor Augen haben sollte. Auch damals glaubte ein Bundeskanzler fest daran, bereits alles getan zu haben. Und vertraute darauf, dass so einer, wie sein Kontrahent - ein Sozialdemokrat - in Deutschland niemals Kanzler werden könne. Damals hieß der Amtsinhaber, der so kalkulierte, Kurt Georg Kiesinger - und doch wurde sein Herausforderer Willy Brandt schließlich Bundeskanzler.

Das war 1969. Wenn Schröder Kiesingers Schicksal vermeiden will, dann sollte er schnell den Mut zu neuen Antworten finden. Und nicht darauf vertrauen, dass so einer - dieses Mal ein Bayer - in diesem Land kein Kanzler werden könnte.

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