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Prototypen aus Paris: Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo sind Daft Punk.

© Sony

Kolumne "Ich habe verstanden": Das Problem ist, was Musik mit den Menschen macht

Großartig, einfach großartig ist das neue Daft-Punk-Album - so hört man dieser Tage. Während die ersten beiden Alben klangen, als kämen sie aus der Zukunft des Pop, klingt das neue, als käme es aus der Vergangenheit. Eine Flucht in längst vergangene Zeiten.

Ich habe „The Doors“ ja immer gehasst, und das war leider das erste, was mir einfiel, als ich am Montag vom Tod des Doors-Keyboarders Ray Manzarek hörte. Den Tod hasse ich natürlich noch mehr als „The Doors“, aber ich war schon ein wenig genervt, dass ich am Montagmorgen im Radio andauernd „Light My Fire“ hören musste, und zwar auf jedem Sender. Das Lied weckte schlimme Erinnerungen an das Jahr 1991.

Damals kam ein Film von Oliver Stone in die Kinos, ein Film über „The Doors“, Val Kilmer spielte Jim Morrison, und die einzige ernstzunehmende Disco des Ortes spielte jeden Freitag, jeden Samstag, gegen Mitternacht „Light My Fire“, wohlgemerkt in einem Jahr, als der Popmusik ja dann doch das eine oder andere Geschenk gemacht wurde: „Papua New Guinea“ von Future Sound of London, „November Rain“ von Guns’n’Roses, „Higher Than The Sun“ von Primal Scream, „Alec Eiffel“ von den Pixies, „I Wanna Be Adored“ von den Stone Roses (jaja: das Lied erschien 1989, aber erst 1991 als Single), „Unfinished Sympathy“ von Massive Attack, „Only Shallow“ von My Bloody Valentine und – hello, hello - „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana. Alles wichtig, alles Indie-Disco, alles so dermaßen 1991 - aber plötzlich hörten alle 16-Jährigen „The Doors“, Jungs wollten aussehen wie Jim Morrison (und seltsamerweise nicht wie Morrissey), Mädchen verliebten sich in Jim Morrison (und seltsamerweise nicht in Morrissey) – und Schuld daran war ein eher schlechter, als guter Film eines eher guten denn schlechten Regisseurs. Einen Sommer lang war Pop reaktionär – und eventuell wird sich dieses Phänomen in diesem Sommer wiederholen.

Die 16-Jährigen von damals zitieren im Moment ungefragt den Satz „My name ist Giovanni Giorgio – but everybody calls me Giorgio“. Mhm. Dieser Satz findet sich auf dem neuen Daft-Punk-Album, und während die ersten beiden Daft-Punk-Alben klangen, als kämen sie aus der Zukunft des Pop, klingt das neue, als käme es aus der Vergangenheit. Vor kurzem las ich einen klugen Text darüber, warum es in den 80er Jahren so viele Hollywood-Filme gab, die sich mit den 60er Jahren beschäftigten – der Grund dafür war schlichtweg, dass viele Regisseure jung waren in den 60er Jahren. Und der Mensch neigt dazu, seine Jugend zu glorifizieren, vielleicht ist das auch der Grund, warum so viele Menschen jetzt dieses neue Daft-Punk-Album für so gelungen halten – weil sie auch ihre eigene Jugend im Rückblick für gelungen halten.

Ich denke, das ist alles ein ganz großes Missverständnis. Ich denke, dass es für alles im Leben eine Zeit gibt, einen perfekten Zeitpunkt, alles andere ist Nostalgie. Dabei bin ich nicht gegen Sentimentalitäten, mein Herz ist nicht kalt. Aber man sollte mit seinen Sentimentalitäten nicht andere Menschen belästigen – das halte ich dann nämlich für eine Form der Unhöflichkeit.

„Dann hör doch weg!“, könnte man einem wie mir jetzt natürlich entgegnen – ja wenn es denn so einfach wäre, dann würde ich das ja machen, aber das Problem liegt nicht darin, dass es da jetzt diese Platte gibt, das Problem liegt darin, was diese Platte mit den Menschen macht, vor allem mit den Menschen in meinem Alter, so Ende 30, Anfang 40, die seit einer Woche nichts anderes mehr hören und jedem erzählen, wie großartig das alles doch ist. Aber was sie da hören kommt einer Flucht gleich, einer Flucht in die eigene Jugend, einer Flucht in die Nächte, als noch alles möglich schien, als man tanzte und knutschte und noch dachte, dass die Zukunft auf einen wartet. Sie hören die Platte und alles, was jetzt wartet, sind die Erinnerungen an eine Jugend, die sie niemals hatten.

Ach ja: Das Daft-Punk-Album trägt den Namen „Random Access Memories“ – Nerds erkennen die Abkürzung RAM, was ja eigentlich bedeutet: Speicher mit direktem Zugriff. Und in diesem Speicher steckt dann halt alles drin, was man so in der Vergangenheit fand. Die gute Nachricht ist, dass dieser Speicher jetzt voll sein dürfte.

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