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Meinung: Die Agenda-Austreibung

Der Fall Clement: Die SPD verabschiedet sich von dem, was vor Beck war – symbolisch

Es ist ein besonderes Vergnügen, den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen – es ist in der Politik auch besonders wirkungsvoll. Roland Koch hat die Gelegenheit genutzt, Wolfgang Clement zum Kronzeugen gegen die Energiepolitik der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu machen. Ob es ihm nützt, darf aber bezweifelt werden, seit SPD-Chef Kurt Beck die schrillen Töne der SPD abgemildert hat. Beck will von einem Parteiausschluss nichts wissen, den Fraktionschef Peter Struck lautstark gefordert hatte.

Ein Ausschlussverfahren gegen einen ehemaligen Parteivize, Ministerpräsidenten und Superminister? Ein heißes Eisen, auch wenn Clements Warnung vor Ypsilanti eine Woche vor einer hochbrisanten Wahl die formalen Kriterien erfüllt, mit denen demokratische Parteien in ihren Satzungen „parteischädigendes Verhalten“ definieren. Selbst wenn es vorliegen sollte, ist es ja noch längst nicht zwingend, es auch mit der Höchststrafe Parteiausschluss zu belegen.Und erst recht nicht klug. Oskar Lafontaine wurde deshalb nie ausgeschlossen. Clement hat zweifellos Verdienste um die SPD, die auf die Waagschale zu legen wären – als scharfe Munition für einen Wahlkampfgegner wie Koch taugen sie allemal.

Kurt Becks Votum gegen ein Parteiverfahren war allerdings keine Abwägung von Fehlern und Verdiensten. Während Struck Clements Wahlkampfbeitrag (und damit Clement selbst) bedeutender gemacht hat, als er ist, macht der Parteivorsitzende den Sozialdemokraten Clement kleiner, als dieser Reformer war. Der sei nur ein Lobbyist, besänftigt Beck, um den die SPD sich nicht scheren müsse.

Aus Becks Sicht ist es nicht mehr als eine erfreuliche Nebenwirkung, wenn Koch etwas Wind aus den Segeln genommen ist. Die hessische Wahl ist am Sonntag gelaufen. Aber die (Selbst-) Demontage von Clement wird in der SPD weit über diesen Tag hinaus wirken. Sie ist ein weiterer Schritt der symbolischen Austreibung der Agenda-2010-Zeit aus der SPD, ohne die Reformgesetze selbst substanziell zu revidieren.

Schröder ist nicht mehr Bundeskanzler, Müntefering nicht mehr Vizekanzler, Clement nur noch ein Lobbyist. Eine eindrucksvolle Konfiguration. Die SPD-Reformer sind Vergangenheit. Davon träumen viele in der SPD: Die Agenda-Reformen als albtraumhafter Irrtum, den sie hinter sich gelassen hat.Clements Niedergang passt ins Bild der Nach-Agenda-SPD, die Beck führt. Clement hat selbst dazu beigetragen, indem er die ganze SPD in einer Situation gegen sich aufgebracht hat, als sie ganz und gar gegen den Gegner Koch zusammenrücken wollte. Beck wiederum hat einmal mehr bewiesen, dass er die Tücken überzogener Reaktionen genau kennt und vermeidet.

Denn es handelt sich, wohlgemerkt, nur um eine symbolische Austreibung, die jeder SPD-Chef nach Rot-Grün dringend gebraucht hätte, um die SPD mit sich selbst zu versöhnen. Beck braucht die Koexistenz, nicht den erbitterten Kampf der Flügel. Die SPD heißt heute Ypsilanti, Steinmeier, Scholz. Und über allen: Beck.

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