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Meinung: Die Stunde der Teppichhändler

Nordirlands Protestantenführer Paisley will Aufschub und mehr Geld von London

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Er selbst hat seinen Feinden und Rivalen in Nordirland nie den nötigen Spielraum gegeben, aber jetzt fordert er genau das für sich selbst: Der greise Pfarrer Ian Paisley will nach einem von Obstruktion und Sabotage gekennzeichneten Leben eine Gnadenfrist: Um eine Spaltung seiner bislang stramm gehorsamen Partei zu verhindern, will er erst im Mai eine gemeinsame Regierung mit seinen geläuterten Erzfeinden bilden. Aber er hat sein Ja-Wort gegeben, er will sogar persönlich mit Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams reden, der einst die IRA in Belfast kommandierte.

Nordirische Politik erfordert Nerven. Paisley weiß, dass seine Gefolgschaft schadenfreudig grinst, wenn er das britische Ultimatum, bis zum 26. März eine Regierung zu bilden, ignoriert. Denn obwohl seine Wähler inbrünstig ihre britische Identität beschwören, mögen sie die Engländer nicht. Das protestantische Proletariat misstraut der geschniegelten Londoner Elite mindestens ebenso sehr wie die katholischen Nachbarn. Trotzdem liegt die Regierungsverantwortung für Nordirland seit Mitternacht formell in Belfast, nicht in London. Denn die britischen Verwalter Nordirlands haben dazugelernt. Sie spielen jetzt auch Poker. Nordirlandminister Peter Hain will Paisley und Adams zwingen, sich auf einen exakten Terminplan zu einigen. Dann wäre er wiederum bereit, Kröten zu schlucken und den Aufschub zu ermöglichen. Außer seinem Stolz verlöre er damit nichts. Denn die nordirische, die irische und die britische Gesellschaft haben ein Interesse daran, dass Paisleys Partei eine geschlossene, handlungsfähige Kraft bleibt. Die Ablehnung ihrer grobschlächtigen Überzeugungen kann kein Grund sein, die Fragmentierung der Partei zu begünstigen. Aufgrund derselben Überlegungen erhielt Sinn Féin jahrelang zusätzliche Fristen, um die eigenen Hinterwäldler bei der Stange zu halten. Wenn Paisley jetzt noch sechs Wochen braucht, um seine eigenen, reaktionären Besserwisser zu besänftigen, sollte er angehört werden.

Das Endspiel ist in vollem Gange, alle Beteiligten spielen mit harten Bandagen, nicht zuletzt, weil sie den Ausgang schon kennen. Die britische Regierung hat unverhohlen erpresserische Mittel benutzt, um die Nordiren von einem Kompromiss zu überzeugen: sollten sie weiter bocken, kriegen alle Haushalte diese Woche erstmals gesalzene Rechnungen für ihren Wasserverbrauch. Das würden die Wähler Paisley nie verzeihen. Aber das britisch-irische Investitionspaket für die neue nordirische Regierung ist etwas zu schäbig ausgefallen, da muss Schatzkanzler Gordon Brown noch tiefer in die Tasche greifen, sonst belästigen ihn die streitbaren Nordiren, wenn er endlich Premierminister wird. Der Umstand, dass Paisley jetzt schon die Großzügigkeit der einst verteufelten Republik Irland dazu benutzt, um Browns Geiz zu geißeln, stimmt optimistisch. Hier feilschen Marktweiber und Teppichhändler um Zugaben – sie frönen mithin ganz normaler Politik.

Martin Alioth

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