
Markt und Kontrolle: Die Welt ist ein Börsenplatz
Wenn die Börsen in New York und Frankfurt fusionieren, müssen auch ihre Regeln einander angepasst werden. Damit zwingen die Unternehmen die Politik dazu, anzuerkennen, was längst Realität ist.
Wenn abends in den Fernsehnachrichten die Bilder vom Frankfurter Börsenparkett laufen und auf diesen Bildern Menschen durch den Handelssaal wuseln, dann gibt uns das ein gutes Gefühl. Mögen die Zeiten noch so turbulent und mag die Finanzwelt noch so komplex sein, da gibt es Menschen aus Fleisch und Blut, die haben den Überblick – und wir können beruhigt schlafen gehen.
Jetzt will die Frankfurter Börse mit der New Yorker Stock Exchange fusionieren. Wird jetzt alles anders? Werden die deutschen Börsianer bald an der Wall Street das Sagen haben, weil ihnen die Mehrheit an dem neuen Unternehmen gehört? Oder wird Frankfurt bloß noch ein Ableger von New York sein, wie es die Börsen in Paris, Brüssel oder Amsterdam heute schon sind? Wie auch immer das Machtspiel ausgeht: Am Status quo ändert es nichts.
Der Handel in Frankfurt findet längst nicht mehr auf dem Parkett der altehrwürdigen Börse statt. Um Gewerbesteuern zu sparen, ist die Börse im vergangenen Jahr in die Trabantenstadt Eschborn umgezogen, in einen gläsernen Neubau namens „The Cube“. Aus Kostengründen, hieß es damals schon, sollen 300 Arbeitsplätze nach Prag verlagert werden. Das mag man bedauern. Aber es zeigt: Wo die Menschen sitzen, die Käufe und Verkäufe abwickeln, macht keinen Unterschied.
Wer eine Aktie, ein Stückchen Siemens oder Deutsche Bank kauft, der kauft kein Papier, sondern höchstens ein Computerbyte im virtuellen Nirgendwo. Der Handel schläft nie. Er fängt nicht erst an, wenn die Börse in Sydney eröffnet, und er hört nicht auf, wenn die in New York schließt. Es gibt unzählige Internetseiten, auf denen 24 Stunden lang gehandelt wird. 20 Prozent der deutschen Aktien, so wird geschätzt, werden heute über eine Computerbörse namens CHI-X verkauft. Deren Hauptsitz ist in London, die Besitzer sind Banken und Hedgefonds von Tokio bis Chicago.
Wo die Aktien gehandelt werden, ist trotzdem nicht egal. Börsen unterliegen einer staatlichen Aufsicht. Sie wacht darüber, dass kein Insiderhandel betrieben wird, sie stellt sicher, dass faire Preise zustande kommen. Während der Griechenlandkrise im vergangenen Jahr hat die Deutsche Börsenaufsicht den Händlern verboten, mit Staatsanleihen zu spekulieren. „Die Börse ist nicht seit 425 Jahren ein Teil des Problems, sondern ein Teil der Lösung“, brachte es Reto Francioni, der Chef der Deutschen Börse, kürzlich bei der Jubiläumsfeier auf den Punkt.
Was die Deutsche Börse zulässt oder verbietet, ist dem globalen Kapital allerdings egal. Solange es verschiedene Aufsichten und Gesetze gibt, wird das Geld dahin fließen, wo es sich am leichtesten vermehrt. Seit der Finanzkrise bemüht sich die Politik um internationale Regeln. Wie immer in der Politik geht es langsam voran. Wenn die Börsen in New York und Frankfurt fusionieren, müssen auch ihre Regeln einander angepasst werden. Damit zwingen die Unternehmen die Politik dazu, anzuerkennen, was längst Realität ist: Es gibt keinen nationalen Handel, die Welt ist ein Börsenplatz.
Je größer eine Börse, desto attraktiver ist sie für Anleger. Wenn eine transatlantische Börse viel Kapital unter staatlicher Aufsicht versammelt, ist das gut. Wenn eines Tages auch die Asiaten dazukommen, wäre das noch besser. Wichtiger als ein eigener, symbolträchtiger Börsenplatz ist, dass demokratisch gewählte Politiker und die von ihnen bestellten Aufsichten einen Überblick haben. Dann können wir wirklich ruhig schlafen.