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Ein Zwischenruf zu…: ..."Ehrenmorden"

Barbara John über das wegweisende Urteil eines Richters mit kulturellem Durchblick

Darauf hat Justitia in Deutschland fast ein halbes Jahrhundert warten müssen: Wegen Anstiftung zum Mord an seiner Tochter Gülsüm wurde der Patriarch einer kurdisch-türkischen Einwandererfamilie knapp vor Jahresende im Landgericht im niederrheinischen Kleve zu lebenslanger Haft verurteilt. Erschlagen wurde sie von ihrem zwanzigjährigen Bruder, der dafür neuneinhalb Jahre Jugendstrafe bekam.

Diesem wegweisenden Urteil ging nicht etwa ein neues Gesetz voraus. Das Strafrecht ist also nicht verändert worden, aber bisher hat kein Richter den kulturellen Durchblick und den juristischen Sachverstand aufgebracht, das Familienoberhaupt in „Ehrenmordprozessen“ als den Hauptschuldigen zu identifizieren und folgerichtig als den tatsächlichen Urheber zu verurteilen. Obwohl der Einfluss archaischer Triebkräfte und die Machtstellung des Patriarchen in bestimmten Einwanderermilieus nicht zu übersehen war, zog bisher kein Gericht daraus Schlussfolgerungen. Der Richter in Kleve hat es nun als Erster getan. Er hat eine Fülle von zwingenden Indizien sprechen lassen, die den Vater als Auftraggeber des Mordes belasteten, also als anstiftende und treibende Kraft. Auch in anderen „Ehrenmord-Fällen“ ist diese Konstellation oft vermutet worden, dennoch gingen die Gerichtsverfahren für die Väter immer straffrei aus.

Das Urteil könnte auch in den durch traditionelle Stammessitten geprägten Milieus abschreckend wirken. Dazu gehören oft kurdische Familien, die in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren aus den Tiefen Anatoliens als Flüchtlinge eingewandert sind infolge der PKK-Unruhen, wie auch die Eltern von Hatun Sürücü, die 2005 in Berlin von ihren Brüdern ermordet wurde, weil sie „zu westlich“ lebte. Mit der „Gastarbeiterschicht“ verbindet diese Milieus außer der türkischen Nationalität wenig. Das ist deshalb bedeutsam, weil Teile dieser späten kurdischen Einwanderergruppe fester als andere an verknöcherten familiären Regeln festhalten. Es ist deshalb durchaus möglich, bei ihnen die hohen Integrationsrisiken früh zu erkennen und durch präventive Familienarbeit zu mildern.

Gegen das Urteil hat der verurteilte Vater Revision eingelegt. Die Tochter ermordet, den Sohn zum Mord gedungen, die Familie zerstört, und der Hauptschuldige hält sich für schuldlos: Was für eine abgrundtief menschenfeindliche Gefangenschaft im Stammeskult. Das Urteil aus Kleve ist eine entschiedene Kampfansage gegen solche Verbohrtheit.

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