Meinung: Eine Welt ohne Ritter
Schering und Merck: Ideen sind wichtiger als Geld
Alexander S. Kekulé Auf den ersten Blick sieht die Schlacht um Schering aus wie ein klassisches Beispiel für Raubtierkapitalismus. Im März hatte die Bayer AG die „feindliche Übernahme“ von Schering durch das Darmstädter Pharmaunternehmen Merck vereitelt. Aber jetzt taucht der Angreifer wieder auf und kauft massenweise Schering-Aktien auf.
Aus Sicht der Berliner ist Bayer der gute, „der weiße Ritter“, weil die Leverkusener versprochen haben, die Traditionsfirma in der Hauptstadt zu lassen und nicht zu zerschlagen. Über die Motive des „feindlichen“ Angreifers aus Darmstadt wird heftig spekuliert, denn kaufen kann er die Schering AG auf diese Weise natürlich nicht – aber verhindern, dass Bayer die für die Übernahme benötigten 75 Prozent der Schering-Aktien bekommt. Darüber hinaus verfügte Merck so über eine Sperrminorität, mit der es den Deal verhindern oder nach seinen Vorgaben umgestalten könnte. Oder Merck könnte, wie viele Analysten glauben, im letzten Moment seine Schering-Aktien an Bayer verkaufen und ein paar hundert Millionen Gewinn einstreichen.
Doch die Regeln der Pharmabranche funktionieren anders. Geld ist hier nur so viel wert wie die Ideen, die damit verwirklicht werden. Die Entwicklung eines vollkommen neuen Wirkstoffs dauert fünf bis zehn Jahre und kostet 300 bis 500 Millionen Euro. Wer Pech hat (wie Bayer mit „Lipobay“), muss das Medikament wegen Nebenwirkungen gleich wieder vom Markt nehmen und Schmerzensgeld in Milliardenhöhe bezahlen – in keiner anderen Industrie ist die Forschung so teuer und so risikoreich.
Statt mit hohem Risiko nur selbst zu forschen, kaufen die großen Konzerne deshalb fertige Ideen und Produkte dazu – entweder als Lizenzen von kleineren Biotech-Firmen oder durch Übernahme ganzer Konkurrenten. Auf diese Weise entstanden in den letzten Jahren Pharmagiganten wie Pfizer oder GlaxoSmithKline. Durch ihre Größe und ihre breite, teilweise zugekaufte Produktpalette können sie die unvermeidlichen Fehlentwicklungen in der Forschung und Schadenersatzforderungen besser verkraften.
Die deutsche Pharmabranche hat diese notwendige Strategieänderung jedoch verschlafen. Hier träumte man bis vor kurzem noch von den alten Zeiten, als Deutschland die Apotheke der Welt war und nur in der eigenen Forschungsabteilung entstandene Produkte etwas galten.
Deshalb plagt alle drei Akteure im Schering-Poker heute dasselbe Problem: Sie sind zu klein, um langfristig zu überleben und haben zu wenig neue Produkte in der Forschungspipeline. Bayer und Schering droht deshalb schon länger die Übernahme durch – im Zweifel ausländische – Konkurrenten. Merck ist zwar als KGaA in mehrheitlichem Familienbesitz gegen Übernahmen immun. Dafür kann es aber beim Wachstum und im Kampf um die globalen Märkte nicht mit den großen Konkurrenten mithalten.
Es geht deshalb nicht darum, ob Bayer nun ein strahlender weißer Ritter ist oder ein Ertrinkender, der sich selbst retten will. Oder ob Merck seinen Konkurrenten eins auswischt und ein paar Millionen Aktienerlöse einstreicht. Für die Gladiatoren der pharmazeutischen Ritterschlacht geht es vielmehr ums Ganze: Wer am künftigen Champion der deutschen Pharmaindustrie beteiligt sein wird und wer nicht.
Wie die neue Firma zuletzt aussieht, wird nicht von blumigen Versprechungen im Übernahmepoker, sondern vom Markt abhängen. Merck und Schering haben starke Forschungspotenziale in ihren Nischen, die Bereiche Onkologie und Hormone ergänzen sich. Auch bei einer „freundlichen“ Übernahme durch Bayer bliebe eine Umstrukturierung der Schering-Aktivitäten nicht aus – dass alle Sparten und Arbeitsplätze erhalten bleiben könnten, ist eine Illusion. Bei der Schaffung der größten deutschen Pharmafirma wird auch Ballast abgeworfen werden. Wahrscheinlich haben die Investmentbanken, die bei solchen Deals immer im Hintergrund dabei sind, bereits potenzielle Käufer für einzelne Schering-Sparten identifiziert (etwa die Kontrastmittel). Das ist betrüblich für den Standort Berlin. Für den Standort Deutschland ist es jedoch die einzige Chance, künftig im weltweiten Pharmageschäft noch mitspielen zu können.
Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer
-