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Abiturreform: Entschieden unentschieden

Das Turboabitur G 8 ist zum Wahlkampfthema geworden und treibt die Politiker um. Leider lassen sich die Kultusminister bei der Abiturreform von vielen Ängsten leiten.

Ein ganzes Schuljahr zu streichen und dennoch beim Wissensstoff keine Abstriche zu dulden, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Genau das ist beim Turboabitur geschehen, das die Experten „G 8“ nennen und mit einer so unbegreiflichen Formel belegen wie dieser: Von der fünften bis zur zwölften Klasse müssen im Interesse der Qualität in allen Bundesländern mindestens 265 Wochenstunden eingehalten werden.

Diese Anforderung in den Alltag an fünf Schultagen übersetzt heißt: Mindestens 33 Schulstunden müssen in der Woche unterrichtet werden. Sechs bis sieben Stunden sind das an jedem Tag. Eine Mittagspause mit Verpflegung ist nur an jenen Gymnasien möglich, die sich auf eine Ganztagsbetreuung eingerichtet haben.

Das Turboabitur G 8 ist zum Wahlkampfthema geworden und treibt die Politiker um. Man hätte daher von der Kultusministerkonferenz erwarten können, dass sie den Ländern deutliche Hinweise gibt, wie sie aus der verfahrenen Situation herauskommen. Aber die Kultusminister haben klare programmatische Vorgaben vermieden und sich von Ängsten leiten lassen, obwohl sie doch so stolz darauf sind, dass sie nach der Föderalismusreform verstärkt nationale Aufgaben wahrnehmen dürfen.

Erste Angst: Wenn von der 265-Stunden-Regel abgewichen würde, könnte der Kultusministerkonferenz eine Qualitätskritik um die Ohren fliegen. Zweite Angst: Wenn man den Sonnabend wieder zum Schultag machen würde, ließe sich die Belastung durch Nachmittagsunterricht zwar weitgehend vermeiden, aber man hätte die Eltern und Lehrer gegen sich. Daher keine Vorgabe der Kultusministerkonferenz, sondern Verschiebung der Entscheidungs- und Konfliktebene auf die Schule.

Dritte Angst: Die Hälfte der Eltern ist für Ganztagsschulen mit geregelter Mittagspause und einem Schulessen. Die andere Hälfte möchte die Kinder möglichst schnell wieder zu Hause sehen und daher die Mittagspause kurz halten. Wieder verlagert die Kultusministerkonferenz die Entscheidung in die Schulen vor Ort. Das hat außerdem den Vorteil: Das in der Union umstrittene Ganztagsschulprogramm muss nicht unter dem G-8-Druck ausgeweitet werden.

Schließlich haben die Kultusminister noch eine Ausrede parat: In jedem Bundesland gebe es ja nach wie vor die Möglichkeit, das Abitur nach 13 und nicht nach 12 Jahren abzulegen – an Gesamtschulen und beruflichen Gymnasien. Wie soll das funktionieren? Die Eltern schicken ihre Kinder deswegen auf das Gymnasium, weil es zur „Hauptschule“ der Nation auf dem Karriereweg geworden ist. Welche Schulleitung könnte es wagen, von besorgten Eltern zu verlangen, wegen Stress und kognitiver Überlastung am G-8-Gymnasium ein Kind auf die Gesamtschule zu schicken? Das Elternrecht steht dagegen – es ist durch das Grundgesetz abgesichert.

Fazit: Die Kultusminister haben die gewünschte Autonomie der Schule benutzt, um beim Turboabitur nach dem Motto zu verfahren: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“

Uwe Schlicht

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