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Meinung: Er war dabei

Von Bernhard Schulz

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Albert Speer gibt auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod Rätsel auf. Zwei Jahre erst liegt der Fernsehmehrteiler zurück, in dem Speers Leben recht plakativ dargestellt wurde. Gitta Sereny, die bedeutende Speer-Biografin, die ihn die letzten vier Jahre vor seinem Tod ausgiebig hat befragen können, sah Speers Beteiligung an der „Entjudung“ Berlins zumindest für das Jahr 1941, als Speer das Tiergartenviertel räumen ließ, differenziert: „Die grauenhafte und – man kann es glauben oder nicht – auch vor Speer geheime Entwicklung der Judenpolitik war da schon im Gange.“ Im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal 1945 verlegte er sich erfolgreich darauf, nichts Genaues gewusst und die Geschehnisse nur geahnt zu haben.

Nun sind in London Briefe Speers aus seinem letzten Lebensjahrzehnt aufgetaucht, die ein anderes Bild vom vermeintlichen Unwissen zeichnen. Am 6. Oktober 1943 hielt SS-Reichsführer Heinrich Himmler die berüchtigte Posener Rede, in der er bekräftigte, „Die Juden müssen ausgerottet werden“. Im Dezember 1971 nun bekannte Speer – ausgerechnet in einem Brief an die Witwe eines belgischen Widerständlers – ohne Umschweife: „Ohne jeden Zweifel war ich anwesend, als Himmler am 4. Oktober 1943 ankündigte, dass alle Juden umgebracht würden.“ In seinen Bestseller-Memoiren wie auch seinen späteren Gesprächen hatte Speer zwar eingeräumt, zum fraglichen Zeitpunkt in Posen gewesen zu sein, jedoch darauf beharrt, nicht bei Himmlers Geheimrede zugegen gewesen zu sein. „Wer wird mir glauben, dass ich all dies unterdrückt habe?“, fragt Speer, wiederum sich selbst exkulpierend, in einem der jetzt aufgetauchten Briefe: „Aber schildert das ganze Buch nicht zwischen den Zeilen diese Wahrheit?“ Das Buch, seine 1969 erschienenen „Erinnerungen“, schildert gern „zwischen den Zeilen“. Aber den dunkelsten Fleck seiner Biografie überspielt Speer. Er war sicher einer der intelligentesten Fachleute, derer sich der innerste NS-Machtzirkel bediente. Doch unwissend war er nicht – nicht im Mindesten. Er hat es nach 1945 lediglich verstanden, seine Verstrickung in den Völkermord geschickt zu verschleiern.

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