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POSITIONEN: Feministischer Kreuzzug

Wie sich Konservative und Frauenrechtlerinnen gegen Muslime verbünden Von Mark Terkessidis

An die Feministinnen vor 20 Jahren fühle er sich erinnert, meinte kürzlich bei einer Podiumsdiskussion ein einheimischer Professor zu einer Journalistin und einem Journalisten mit Migrationhintergrund. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den Kämpfen, die gegen die Benachteiligung der Frau ausgefochten wurden und werden, und den derzeit selbstbewusster vorgetragenen Ansprüchen auf Teilhabe durch die Kinder der Einwanderer.

Von vielen Streiterinnen im Dienste des Feminismus werden die Parallelen durchaus gesehen, und oftmals gibt es nachdrückliche Hinweise darauf, dass man sich vom säuselnden Wohlsprech der „Integration“ nicht täuschen lassen solle – „nur klare Zielvorgaben, nur die Quote haben die Frauen wirklich weitergebracht“, heißt es etwa. Auch werden Stellen, die etwas mit Migration oder Interkultur zu tun haben, häufig mit ehemaligen Frauenbeauftragten besetzt. Ob das sinnvoll ist, sei dahingestellt. Jedenfalls besitzen diese Frauen zweifellos ein ausgeprägtes Sensorium für die Problemlagen.

In der Medienöffentlichkeit allerdings spielen diese Überschneidungen überhaupt keine Rolle. Hier regiert die Konfrontation. Eine Konfrontation, die sich um die Rolle der „Muslimin“ in Deutschland dreht. Eine Koalition aus Ex-Feministinnen, an der Spitze Alice Schwarzer, bestimmten Organisationen wie Terre des Femmes und einer Reihe von „authentischen“ Gewährsfrauen türkischer Herkunft wie Necla Kelek befindet sich seit einiger Zeit zusammen mit konservativen Politikern und Publizisten auf einem Kreuzzug zur Befreiung der „muslimischen Frau“ aus den Fängen eines unterdrückerischen, islamisch geprägten Patriarchats.

Für Alice Schwarzer war schon nach dem 11. September 2001 alles klar. In dem von ihr herausgegebenen Sammelband „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“ war die „aufgeklärte Welt“ fast verloren: Lehrerinnen mit Kopftuch, einheimische Islamkonvertiten und der Zentralrat der Muslime, sie alle schienen an einem neuen 1933 zu stricken. Und mit der Unterdrückung der Frau fange es an, meinte Schwarzer.

Nicht minder schrill waren die Töne in den Debatten über „Ehrenmord“ und „Zwangsheirat“. Muslimische Frauen, so hieß es, würden gezwungen, in „Parallelgesellschaften“ außerhalb „unseres Rechtssystems“ zu leben.

Wenn Frauen mit Migrationshintergrund bei Diskussionsveranstaltungen darauf hinwiesen, dass solche Vorstellung übertrieben sei und die Lage differenzierter, dann mussten sie sich von einheimischen Frauenrechtlerinnen oftmals als Büttel von Patriarchat und Islamismus beschimpfen lassen. Als Kronzeuginnen fungierten Autorinnen wie Serap Cilelei, Seyran Ates oder eben Kelek, die primär mit Erzählungen aus der eigenen Biografie zu „Expertinnen“ avancierten. Unterdessen gibt es eine ganze Industrie, die populäre Literatur über die geschundene Muslima produziert.

Nun wären Übertreibungen durchaus gerechtfertigt, wenn sie Veränderungen in Gang setzen würden. Denn muslimische Frauen werden tatsächlich unterdrückt, und es kann keineswegs darum gehen, das mit Blick auf kulturelle Unterschiede zu tolerieren. Allerdings vertreten die feministischen Kreuzzüglerinnen äußerst konservative Auffassungen von „Integration“: Alles wird gut, wenn die Muslime in Deutschland sich nur bedingungslos eingliedern in die „deutsche Gesellschaft“. Dadurch wird Deutschland zum Paradies der Gleichstellung von Mann und Frau verklärt, obwohl jede Statistik zeigt, dass das Land im europäischen Vergleich sehr schlecht abschneidet.

Gleichzeitig erscheint Sexismus als kulturelles Problem von „ihnen“, „den“ Muslimen. Wirtschaftliche und rechtliche Hintergründe spielen überhaupt keine Rolle mehr – niemand spricht etwa darüber, dass Mädchen arabischer Herkunft auch deswegen nicht mit auf Klassenfahrten fahren, weil sie als Flüchtlinge der „Residenzpflicht“ unterstehen und schlicht ihren Wohnort nicht verlassen dürfen.

Es ist schon ein seltsamer Feminismus, der nichts weiter begehrt, als die maßvollen Errungenschaften der Bundesrepublik zu verteidigen. Und da wundert es auch nicht, dass dieser patriotische Feminismus kaum mehr erreicht hat, als mit den Konservativen zusammen das Zuwanderungsrecht zu verschärfen – vor allem gegen Einwanderungswillige aus der Türkei. Das nutzt der Emanzipation von Frauen, egal welcher Herkunft, überhaupt nicht. Anstatt Sexismus auf „deren“ kulturelles Problem zu reduzieren, geht es darum, die Benachteiligung sowohl von Frauen als auch von Migranten zu bekämpfen – und zwar als Bedrohung für unser aller Zukunft.

Der Autor ist Psychologe und Publizist. 2001 gründete er mit

Tom Holert das „Institute for

Studies in Visual Culture“ in Köln.

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