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Mon BERLIN: Frohes Schaffen! Mahlzeit! Man steckt nicht drin

Die deutsche Sprache wimmelt geradezu von raffinierten Wortkompositionen, von meisterhaften metaphorischen Bauwerken.

Unendlich viele deutsche Redewendungen beschreiben höchst verwickelte Gefühle mit einer Schärfe und Klarheit, die man einfach nicht in eine andere Sprache übertragen kann. Die nicht exportierbaren Wörter verraten eine Menge über die Seele eines Volkes.

Nehmen Sie etwa die Aufforderung: „Frohes Schaffen!“. Weder im englischen „Work hard“ (meistens übrigens in der verneinten Form: „Don’t work too hard!“) noch im französischen „Bon travail“ werden Anstrengung und Vergnügen auf so subtile Weise miteinander verschmolzen. „Work hard“ und „Bon travail“ riechen nach Schweiß, Belastung, Entsagung, ja sogar nach Schmerz. Diese Ausdrücke rufen kein Lächeln hervor, keine Freude. Das kleine Adjektiv froh, so rein, so kurz, so überraschend in einem solchen Kontext, suggeriert ja schon die Leichtigkeit, die Freude am Werk. Man stellt sich den Arbeitenden vor, Schweiß auf der Stirn, ein Lächeln auf den Lippen, wie er ein munteres Lied pfeift. Die Mühsal macht ihn glücklich. Und außerdem sagt man „Frohes Schaffen!“ mit der gleichen beschwingten Intonation wie „Frohe Weihnachten!“. Kein Hauch von Mitleid oder Sadismus, vor allem keine Ironie in dieser kraftvollen Ermutigung zu beharrlicher Arbeit. Verbringen Sie das Wochenende am Schreibtisch, da kommt die gute Laune ganz von selbst!

„Froh“ und „schaffen“ gehören nicht zusammen. Schon immer hat mich die absurde Verbindung dieses Verbs mit dem überhaupt nicht passenden Adjektiv irritiert. Es würde mich nicht wundern, wenn sie in den Nachkriegsjahren geknüpft worden wäre, als Deutschland die Ärmel hochkrempelte, um das Wirtschaftswunder zu bewirken. Auf der ganzen Welt hat bestimmt nur die deutsche Sprache diese beiden unvereinbaren Wörter miteinander versöhnt.

Ebenso ratlos macht mich der Ausruf „Mahlzeit!“ Diese Mahnung, die man sich ab 11 Uhr in den Gängen deutscher Firmen an den Kopf wirft, mit verkrampftem Mund und zusammengebissenen Lippen, als wolle man sich Mut zusprechen: Halt bloß durch, du armes Schwein, bald kannst du dich an den Tisch setzen. Das Wort Mahlzeit ist wuchtig wie eine Mehlsauce, es riecht nach Bratfett, es ist unverdaulich und bedrohlich. Ein Wort, das ganz sicher nicht zum Hedonismus auffordert. Eine traurige Vokabel, die man aus dem deutschen Wortschatz verbannen sollte! Und ohne in einen arroganten Patriotismus verfallen zu wollen, rate ich, es durch das verführerische „Bon appétit!“ meiner Sprache zu ersetzen.

„Es läuft nicht weg“ dagegen finde ich einfach genial. Eines dieser einfallsreichen Bilder, auf die die deutsche Sprache, so konkret, so plastisch, so wenig selbstgefällig, das Patent hat. „Es läuft nicht weg“ gehört zu meinen Favoriten. Ein Bild voll Weisheit, es beruhigt mich sofort, wenn ich glaube, etwas Wichtiges zu verpassen, eine Gelegenheit zu versäumen, wenn ich hilflos stehen bleibe und mit hängenden Armen zusehe, wie das Leben vor meinen ohnmächtigen Augen davontänzelt. Sachte! Immer mit der Ruhe!, ermahnen diese vier Wörter. Alles zu seiner Zeit. Es gibt keine verpassten Chancen. Es ist nie zu spät. Man muss nur abwarten, und schon entknotet sich alles von allein. Wenn nicht heute, dann eben morgen. „Es läuft nicht weg“ zieht bei der kopflos dahinstürmenden Zeit die Bremse. Und ja, das Leben hält an und wartet mit ausgesuchter Höflichkeit und voll Feingefühl, bis wir so weit sind, bis der richtige Moment zum Mitmachen gekommen ist.

Trotz seiner etwas rauen und simplen Erscheinung ist „Man steckt nicht drin“ zugleich sehr philosophisch. Ein sehr verständlicher Wunsch, solange die Welt besteht: Könnte man sich doch nur ganz klein machen, den Atem anhalten und sich in das Leben der anderen schleichen, in ihren Kopf, in ihre geschraubte Gedankenwelt. Könnte man sie doch nur dechiffrieren. Aber „Man steckt nicht drin“ schlägt uns die Tür vor der Nase zu. Privat! Die anderen bleiben undurchdringlich, und unser Leben lang beobachten wir von außen die Mysterien und Geheimnisse, die sich unter der opaken Oberfläche zusammenbrauen. „Man steckt nicht drin“ fordert uns zu Distanz und Zurückhaltung auf, zum Respekt für die Grenzen zwischen uns selbst und den anderen. Wir sind keine allmächtigen Götter, die alles verstehen, ordnen, kontrollieren können. Und so ist es auch besser. „Man steckt nicht drin“ ist eindeutig eine Lektion in Demut.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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