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Meinung: Gastkommentar: Adieu, mein Berlin der Übergangszeit

In London muss man sich durch den Schatten des imposanten House of Parliament schleichen, bei Whitehall den Abzweig in ein unscheinbares Sträßchen finden, um schließlich vor einer kleinen Haustür aus lackiertem Holz zu landen: Downing Street 10. In Paris führt der Weg durch ein Viertel mit lebhaftem Handel, tosendem Verkehr und unzähligen Cafés, entlang der rue de Varennes zu einem jonischen Portal, das von der republikanischen Garde bewacht wird: Hôtel Matignon.

In London muss man sich durch den Schatten des imposanten House of Parliament schleichen, bei Whitehall den Abzweig in ein unscheinbares Sträßchen finden, um schließlich vor einer kleinen Haustür aus lackiertem Holz zu landen: Downing Street 10. In Paris führt der Weg durch ein Viertel mit lebhaftem Handel, tosendem Verkehr und unzähligen Cafés, entlang der rue de Varennes zu einem jonischen Portal, das von der republikanischen Garde bewacht wird: Hôtel Matignon. In Berlin muss man nicht lange suchen. Das neue Kanzleramt steht frei in einer Bauwüste, fällt mit seinem erdrückenden Gewicht ins Auge. Im Vergleich dazu scheint der Reichstag mit seiner lichtdurchfluteten Kuppel fast zwergenhafte Dimensionen anzunehmen. Historische Bezügen sucht man vergebens: Das Kanzleramt ist brandneu, hat noch keine eigene Geschichte. Nur die kleine Schweizer Botschaft in der Nachbarschaft, die den Bombenangriffen entgangen ist, erinnert daran, dass Berlin sich bereits im 19. Jahrhundert bis hier erstreckte.

Fast zu selbstverständlich drängt sich nach den drei Spaziergängen dieses Resümee auf: London, die Wiege der parlamentarischen Demokratie, kultiviert elegant das Understatement; die Macht gibt sich diskret. Paris bekennt sich stolz zu seiner über Jahrhunderte reichenden historischen Kontinuität; die Macht wirkt ganz natürlich.

Und Berlin? Deutschland ist kein politischer Zwerg mehr - und zeigt das auch. Die Macht gibt sich monumental. Die Architekten haben rasch Bäumchen pflanzen lassen, damit der Bau leichter wirkt. Aber das hilft wenig. Den Deutschen gefällt es nicht, sie lassen sich einmal mehr von einer Nostalgie-Welle erfassen, loben die etwas biederen Bonner Rituale. Der Kanzler kann nicht mehr einfach beim Italiener an der Ecke einen Teller Pasta essen - und der gewöhnliche Sterbliche nicht mehr den Cappuccino unter Schröders Amtsfenster trinken. Na und? Das vereinte Deutschland hat endlich eine Hauptstadt nach Maß.

Ich für meinen Teil vermisse nicht das träge an den Rheinufern hingebreitete Bonn. Sondern das Berlin der jüngsten zehn Jahre. Der Umzug vom Staatsratsgebäude ins neue Kanzleramt markiert die endgültige Normalisierung Berlins. Mit Nostalgie denke ich an diese letzten Jahre des Übergangs, die Ironie der Geschichte: Um in seiner neuen Hauptstadt nicht auf der Straße zu stehen, nahm der westdeutsche Kanzler provisorisch mit Erich Honeckers Büros vorlieb - direkt neben der Volkskammer. Welche Burleske, zumal es den neuen Bewohnern in ihren Armani-Anzügen nie gelang, die verbliebenen Spuren der DDR auszulöschen: das realsozialistische Glasmosaik im Vestibül, der für alle öffentlichen DDR-Gebäude so typische Geruch der in Überdosis verabreichten Desinfektionsmittel in den Gängen - als wäre das alles unzerstörbar.

Das ist etwas, was weder Downing Street 10 noch das Matignon bieten kann: das Unvorhersehbare, Drollige, Absurde. Wenn alle ihren Platz gefunden haben, wird das Kanzleramt nur noch eine konventionelle Adresse sein.

Die Autorin schreibt für das französisch

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