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PORTRÄT EVO MORALES BOLIVIENS STAATSPRÄSIDENT:: „Hier endet die Zeit des Kolonialismus“

Für Evo Morales ist es der bisher größte politische Erfolg, für Bolivien eine historische Zäsur: Die Mehrheit der Bürger des Andenstaates stimmte für die neue, wie es in der Präambel heißt, „sozialistische“, „antikoloniale“ und „antiimperialistische“ Verfassung. Nach 500 Jahren Unterdrückung, Diskriminierung, Geringschätzung reklamiert die indianische Bevölkerungsmehrheit des südamerikanischen Armenhauses Gleichberechtigung für sich.

Von Michael Schmidt

Für Evo Morales ist es der bisher größte politische Erfolg, für Bolivien eine historische Zäsur: Die Mehrheit der Bürger des Andenstaates stimmte für die neue, wie es in der Präambel heißt, „sozialistische“, „antikoloniale“ und „antiimperialistische“ Verfassung. Nach 500 Jahren Unterdrückung, Diskriminierung, Geringschätzung reklamiert die indianische Bevölkerungsmehrheit des südamerikanischen Armenhauses Gleichberechtigung für sich. „Ab jetzt haben die bisher Ausgeschlossenen und an den Rand Gedrängten dieselben Rechte wie jeder andere auch“, rief Morales nach Bekanntgabe des Referendumsergebnisses seinen Anhängern zu. „Brüder und Schwestern, hier endet die Zeit des Kolonialismus.“

Etwas Neues beginnt, auch wenn unklar ist, wie es weitergehen wird in dem politisch, wirtschaftlich und ethnisch zerissenen Land. Morales, der erste Indio-Präsident in der Geschichte Boliviens, hat die wohlhabenderen überwiegend weißen Eliten auch dieses Mal nicht von seinem Projekt überzeugen können. „Evo-lution“ oder Bürgerkrieg? Der sozialistische Präsident weiß, dass neue Konflikte kommen werden. Die Opposition hat Widerstand angekündigt. Schon die Debatte über die Verfassung hatte heftige Unruhen ausgelöst, bei denen 2007 drei Studenten und im September vergangenen Jahres 13 Menschen ums Leben kamen.

Die Kritiker bemängeln – neben vielem anderem –, die neue Verfassung verfehle das Ziel, das Land, die Indios und die Restbevölkerung zu einen. Es kehre die Diskriminierung lediglich um. Die bisher Unterdrückten begehrten auf, ergriffen die Macht und rächten sich an den alten Herrschern. In den Worten des ehemaligen Präsidenten Carlos Mesa, der auch als möglicher Herausforderer des Amtsinhabers bei den für Dezember geplanten Neuwahlen gilt: „Bolivien wird mehr denn je polarisiert.“

Da ist etwas dran: Die Verfassung ist kompliziert, zum Teil widersprüchlich. Wahrscheinlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, der letzte Verfassungsartikel noch nicht geschrieben: Die Regierung wird nachbessern. Immerhin – man hat jetzt etwas, womit, etwas, woran man arbeiten kann. Das ist auch nötig. Noch nötiger aber ist ein neues Denken. Auf allen Seiten. Die von Morales proklamierte „Neugründung“ nämlich wird so lange eine nur behauptete sein, wie der Wille zur Versöhnung die knappste Ressource in dem ärmsten Land des Kontinents ist.Michael Schmidt

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