Von Robert Ide: Im Straßengraben
Die Tour de France lässt Lance Armstrong wiederauferstehen – damit stirbt ihr Mythos
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Übrigens, heute startet die Tour de France. Das war einmal ein großes Sportereignis – in jener unwiederbringlich verloren gegangenen Zeit, in der der Sport sich noch selbst erklärte und die Rundfahrt einfach nur als das härteste Radrennen der Welt galt. Das härteste Rennen der Welt ist die Schleife übrigens immer noch. Vor allem für die verbliebenen Radsportfans.
Die Dopingkontrollen für diese Tour sind verschärft worden. Es soll noch mehr Tests geben, mit denen noch mehr verbotene Mittel nachgewiesen werden können. Fahrer müssen nun sogar das ganze Jahr über ihre Blutwerte auf verdächtige Schwankungen hin überprüfen lassen – was juristisch zweifelhaft ist. Aber im Profiradsport der Neuzeit lässt sich die Unschuldsvermutung kaum noch verteidigen; nach allem, was man mittlerweile über die Netzwerke von Blutpanschern weiß, die bis in die Universität Freiburg hineinreichten; nach allem, was über die an viele Rennställe angeschlossene Medikamentenmafia bekannt ist. Mit unschuldigen Augen lassen sich die einstigen Helden der Landstraße kaum noch begleiten – zumal es ja immer noch die alten sind.
Aber auch das alles sei nur am Rande erwähnt. Denn ernst zu nehmen ist die Tour de France sowieso nur noch als Spektakel. Als jährliche Wiederholungsschleife eines einstmaligen Mythos, der in seinen Grundfesten erschüttert ist. Welcher Gesamtsieger der vergangenen Jahre hatte eigentlich nichts mit verbotenen Substanzen zu tun? Gegen diese Frage riefen die Veranstalter der Tour de France eine Weile die Parole von einer sich selbst reinigenden Rundfahrt aus. Diese neue Tour, wenn sie nicht nur ein Wunschbild war, erstickte allerdings schnell am altbewährten Betreuer- und Fahrerpersonal. So ging der letzte Rest Glaubwürdigkeit verloren – und mit ihr der unschuldige Blick auf spektakulär aussehende Antritte im Hochgebirge und schnelle Schlusssprints aus dem Peloton. So stirbt der Mythos der Tour de France, selbst wenn das Ereignis weiterlebt und sich in diesem Jahr einer Wiedergeburt der besonders bizarren Art bedient: der des Lance Armstrong.
Der Profiradsport, der in seiner alten Form nicht weiterleben kann und in einer neuen Form nicht weiterleben will, hat sich diesmal komplett ausgeliefert – einem Mann, der wie ein Sinnbild für seine Branche steht. Armstrong hat die Tour de France sieben Mal gewonnen, positive Doping-Nachproben haben dieses kaum zu glaubende Ergebnis nicht korrigieren können. Nur das Bild von Armstrong hat sich verändert, zumindest in Europa und besonders in Deutschland. Die Härte, mit welcher der Amerikaner nicht nur das Fahrerfeld zu beherrschen sucht, sondern auch sämtliche Kritiker, Rechercheure und Zweifler von der Rennstrecke in den Straßengraben stößt, passt gut zu einer Sportart, die ihren inneren Halt verloren hat und damit auch ihren äußerlichen Zauber.
So gesehen hat die Tour de France mit Lance Armstrong wieder zu sich selbst gefunden. Weit weg vom Sport.
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