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Positionen: Ironie der Geschichte

Benno Ohnesorgs Tod hat modernisierende Kräfte freigesetzt.

Die Mehrheit der 20- und 30-Jährigen wird den Namen Benno Ohnesorg gar nicht mehr kennen. Nur die regelmäßigen Zeitungsleser unter ihnen könnten wissen, dass er mit der westdeutschen Studentenbewegung der späten 60er Jahre in Verbindung steht. Ein paar andere werden vielleicht das Buch „Der Freund und der Fremde“ von Uwe Timm gelesen haben, in dem der Autor seine Freundschaft mit Ohnesorg beschreibt. Die wenigsten werden das Denkmal für Ohnesorg in der Bismarckstraße in Berlin schon einmal gesehen haben.

Dennoch, die meisten, die mit dem Namen was anfangen können, werden ihn mit den militanten Gruppierungen, wie der Roten Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni, assoziieren. Ich wiederum habe einen persönlichen Bezug, da meine Mutter sehr gut mit der Witwe von Benno Ohnesorg befreundet war. Der Sohn von Benno Ohnesorg hat sogar eine kurze Zeit bei mir und meiner Mutter in den USA gelebt, als ich ein Kind war.

Seit vergangener Woche ist der Name wieder in aller Munde, als bekannt wurde, dass Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 kurz nach 20 Uhr auf dem Parkhof der Krumme Straße 66/67 in Berlin in den Hinterkopf geschossen hat, ein Mitarbeiter der Stasi gewesen ist. Für mich als Nachgeborenen stellt diese Begebenheit eine Weichenstellung für die grundlegende Veränderung der deutschen Nachkriegsgesellschaft dar. Der Schuss aus der Pistole von Kurras hat in Westdeutschland eine ganze Generation politisiert und damit solche Energien freigesetzt, dass es möglich wurde, die Gesellschaft zu modernisieren.

42 Jahre später hat die Birthler- Behörde nun Akten gefunden, in denen Kurras als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi und Mitglied der SED enttarnt wird. Historiker debattieren sogar, ob die Stasi Kurras als Agent Provocateur einsetzte, um die Stimmung in West-Berlin aufzuheizen und die westdeutsche Regierung in ein dunkles Licht zu rücken. Das könnte bedeuten, dass der Tod von Ohnesorg in Wirklichkeit ein Auftragsmord der Stasi gewesen ist. Es gibt zwar noch keine Beweise für den Auftragsmord, aber sollte sich dieser Verdacht erhärten, wäre es eine Ironie der Geschichte.

Für Reinhard Mohr vom „Spiegel“ liegt die Ironie darin, dass Kurras, der von vielen als „Faschobulle“ gesehen wurde und dessen Tat als Manifestation jener „strukturellen Gewalt“ des kapitalistischen „Schweinesystems“ bezeichnet wurde, sich nun als „ein tapferer Kundschafter des real existierenden Sozialismus und glühender Freund der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)“ entpuppt. Doch diese Sichtweise ist verkürzt, denn die wahre Ironie liegt woanders.

Der Tod von Benno Ohnesorg wird als Geburtsstunde der Radikalisierung der Studentenbewegung verkürzt dargestellt. Doch er war viel mehr – er war eine Initialzündung der Modernisierung Westdeutschlands. Denn am Anfang der 60er Jahre herrschte einblindes Streben nach Wohlstand. Der Spießbürger wollte seine Ehefrau am Herd, ein gutes Auto und finanzielle Sicherheit. Dabei sollte die Nazivergangenheit am besten verdrängt werden, während Diktatoren in der Dritten Welt unterstützt wurden. Der Kuppelparagraf verbot es, unverheirateten Paaren Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Abtreibung wurde als ein Verbrechen verfolgt. Homosexualität war nicht erlaubt. Diese Zustände verlangten Veränderung.

Diese Veränderung setzte auch der Tod von Benno Ohnesorg in Gang, weil die Studentenbewegung einen ungeheuren Aufwind bekam. Der westdeutsche Staat, der immer noch an vielen entscheidenden Stellen von ehemaligen Nazis geführt wurde, verlor mehr und mehr an Legitimität. Eine neue Generation von Jusos, Liberalen, SDSlern und RCDSlern wurde antiautoritär politisiert. Joschka Fischer, Ralf Dahrendorf, Gerd Langguth, Gerhard Schröder und hunderttausend andere beanspruchten für sich, die politische Verantwortung zu übernehmen, und begaben sich auf den Marsch durch die Institutionen.

Diese modernisierenden Kräfte haben Westdeutschland über Jahrzehnte verändert, geformt und große Energien freigesetzt. Es hat letztendlich auch dazu geführt, dass das westdeutsche Gesellschaftsmodell sich als viel attraktiver als das ostdeutsche Modell erwies. Falls die Stasi den Mord an Benno Ohnesorg in Auftrag gab, so hatte sie damit nicht die bundesrepublikanische Ordnung ins Wanken gebracht, sondern ihr eigenes Grab geschaufelt. Das ist die wahre Ironie.

Der Autor ist Grünen-Politiker. Er ist der Sohn von Rudi Dutschke.

Marek Dutschke

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