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Meinung: Keine Ahnung vom Arbeitsmarkt

Die Hartz IV-Reformen sollen verändert werden: Vertrauen wecken die neuen Vorschläge jedoch nicht

W arum ist Hartz IV zum Symbol für alles und jedes geworden, was in Gerechtigkeitsfragen schiefläuft? Zunächst einmal zwei Fakten: 2004, im letzten Jahr vor der Reform, gab der Staat 38 Milliarden Euro für Arbeitslosen- und Sozialhilfe aus, bei der neuen Grundsicherung sind es etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr. Allein schon dies entkräftet die These, dass mit Hartz IV ganze Bevölkerungsschichten in die kalkulierte Armut getrieben wurden. Und die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld I hat sich im selben Zeitraum mehr als halbiert. Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit ist dafür nicht allein die gute Konjunktur verantwortlich. Das spricht gegen den Einwand, dass die Grundidee von Hartz IV falsch war, nämlich Menschen, die arbeitsfähig sind, so schnell wie möglich in eine Beschäftigung zurückzuführen, zur Not auch mit Druck.

Trotzdem fällt der Blick auf die Reform nicht nur positiv aus. Hartz IV hat den Markt der Arbeitslosen gespalten. Der Makel der Abgrenzung ist es, den viele Menschen als Zumutung empfinden – wohl noch mehr als die Frage, ob der Regelsatz von 359 Euro pro Monat unter Umständen unangemessen ist. Auf der einen Seite stehen die Empfänger von Arbeitslosengeld I, denen mit Bildungsgutscheinen und Beratungsangeboten bevorzugt geholfen wird. Am anderen Ende finden sich Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die neben dem finanziellen auch mit sozialen Abstürzen zu rechnen haben. Vor allem Menschen, die sich in der Mitte der Gesellschaft wähnen, geht der Einstieg in Hartz IV an die Existenz. Die Grenze zwischen beiden Gruppen ist dabei auf’s Ganze gesehen recht willkürlich gewählt.

Die SPD will das jetzt ändern, und das Wort vom „Anerkennungsbonus“ steht im Raum: Wer länger einzahlt, soll wieder mehr bekommen. Dieser Gedanke klingt verführerisch, mit dem Gerechtigkeitsgedanken aber hat er wenig zu tun. Was soll fair daran sein, wenn ein 48-Jähriger den Makel von Hartz IV nicht so schnell fürchten muss wie ein 28-Jähriger, der genauso erfolglos auf Jobsuche ist?

Auch andere Vorschläge hören sich zunächst einmal begrüßenswert an, zum Beispiel der aus Union und FDP, mehr Zuverdienst zu erlauben. Zu was das führt, erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Weil Hartz-IV-Empfänger gegenüber regulären Arbeitnehmern nicht bevorzugt werden dürfen, müsste der Regelsatz sinken. Unklar ist, ob das verfassungsrechtlich geht – ganz abgesehen von der Frage, wie die Koalition eine weitere Sozialkürzung durchsetzen will, wo sie doch ihr Pulver gerade anderswo verschießt.

Mit Hartz IV wurde ein System etabliert, das Misstrauen schaffte, weil es unterstellte, dass jeder Arbeit finden kann, sofern er sich an die vom Staat vorgegebenen Regeln und Pflichten hält. Das kann funktionieren – wenn es genügend Bedarf für Arbeit gibt. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen spricht nun davon, dass Langzeitarbeitslose einer öffentlichen Arbeit nachgehen sollen, wenn sie staatliche Leistungen beziehen. Dass eine solche Beschäftigung aber auch gebraucht werden muss und der Privatwirtschaft nicht schaden darf, darüber redet sie nicht. Suggeriert wird eine falsche Lage am Arbeitsmarkt, ganz so wie es die Gründungsväter von Hartz IV taten. Vertrauen schafft man so nicht.

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