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Meinung: Kinder in durchlöcherten Ballettschuhen

Betrifft: „Linke Tasche, rechte Tasche“ vom 28. Dezember 2003 Sicher: Es bricht einem das Herz, einen Herrn Lau – ledig, 5000 Euro brutto im Monat – lange vor Erreichen des finalen Lungenkrebsstadiums in immer dünner werdenden Tabakschwaden verarmen zu sehen.

Betrifft: „Linke Tasche, rechte Tasche“ vom 28. Dezember 2003

Sicher: Es bricht einem das Herz, einen Herrn Lau – ledig, 5000 Euro brutto im Monat – lange vor Erreichen des finalen Lungenkrebsstadiums in immer dünner werdenden Tabakschwaden verarmen zu sehen.

Ich teile die Fassungslosigkeit der Familie Gröbel über die gravierenden Auswirkungen der Steuerentlastungen.

Unappetitliche Bilder tiefer Armut stellen sich ein. Kinder in durchlöcherten Ballettschuhen und zerfetzten Ballerinenkleidchen. Mutter Göbel beim Opfern der letzten Bettlaken – ein neues Segel für die Familien-Jolle auf dem Wannsee. Und dann auch noch der Schicksalsschlag für Vater Göbel: die Entfernungspauschale! So ist der Zweitwagen im nächsten Jahr nicht mehr über den Fiskus zu finanzieren!

Da kann man nur noch mit zugeschnürter Kehle feststellen: Manche trifft das Leben hart! Unübertroffen in diesem Zusammenhang ist jedoch die Äußerung des obersten Sachverständigen und Kronzeugen der Anklage Wolfgang Wiegart. Nach seiner Ansicht hätte man die Steuerreform gleich bleiben lassen können. Recht hat er! Dann lieber gar nichts! Endlich mal einer, der sagt, was wir denken!

Wir alle sind nämlich ein Volk von Verlierern!

Nur dem Ketzer drängen sich da noch quälende Fragen zum kollektiven Gemütszustand auf. Was wiegt schwerer? Der Verlust von entgangenen Euros bei den Steuerentlastungen? Oder ist es nicht vielmehr der Verlust eines realistischen Maßstabes für die eigenen materiellen Verhältnisse, für das eigene Anspruchsdenken oder für das politisch Machbare unter gegebenen Bedingungen?

Die Medien tun uns jedenfalls keinen Gefallen, wenn sie mit fragwürdigen Beispielen zukünftiger „Steuerreform-Invaliden“ die oftmals in den Köpfen vorherrschende Larmoyanz und den egozentrischen Mainstream verstärken.

Bleibt also nur noch die angeführte Rentnerin Berger, die für unser ungetrübtes Mitgefühl taugt. Natürlich, auch sie kein Beispiel für echte Armut – aber immerhin! Bleibt nur zu hoffen, dass sich der Autor des Artikels nicht auch noch bei diesem Beispiel vergriffen hat und nicht an eine der berühmten „Wilmersdorfer Witwen“ geraten ist.

Thomas Multer, Berlin-Prenzlauer Berg

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