Lesermeinung: 10 Reichsmark für einen Monat
Auch ich habe die Bezeichnung „Pflichtjahr“ in letzter Zeit gelesen. Ich bin Jahrgang 1924 und eine der Betroffenen, die das Pflichtjahr ableisten mussten.
Stand:
Auch ich habe die Bezeichnung „Pflichtjahr“ in letzter Zeit gelesen. Ich bin Jahrgang 1924 und eine der Betroffenen, die das Pflichtjahr ableisten mussten. Ich kann nur im Zorn auf diese Zeit zurückblicken. Es war wohl vielfach so, dass die feinen Herrschaften eine billige Arbeitskraft hatten. Ich war 15 Jahre alt, als ich das Pflichtjahr antreten musste. Da ich damals in Glindow wohnte, wurde mir vom Arbeitsamt Werder eine Stelle bei einem Zahnarzt zugewiesen. Morgens das Erste war, den Warteraum und das Sprechzimmer zu säubern. Danach die ganze Wohnung, und das jeden Tag. Als Lohn gab es 10 Reichsmark für den ganzen Monat. Sie haben sich nicht geschämt, mir das zu geben. Im Gegenteil, man legte mir einfach das Geld auf den Küchenschrank. Jeden Vormittag bekam ich eine Frühstücksstulle, immer nur mit Teewurst. Ich konnte jahrelang keine Teewurst mehr essen. Alle 14 Tage mussten im ganzen Haus die Fenster geputzt werden. Daher putze ich heute noch nicht gern Fenster. Was habe ich in dieser Zeit geheult. Nach fünf Monaten legte ich meine Kündigung auf den Tisch. Nun musste ich aber in einen anderen Haushalt, und das war in der damaligen Ufastadt. Dort hatte ich ein kleines, klitzekleines Zimmerchen. Der Pflichtjahrvater war Major auf dem Flugplatz in Werder. Jeden Morgen wurde er vom Burschen mit dem Auto abgeholt. Seine Langstiefel musste ich morgens putzen. Es war der 1. September 1939 als ich dort anfing, also Kriegsbeginn. Essen musste ich in der Küche. Dann kam der kalte Winter. Was habe ich gefroren. Mein Kabäuschen war so kalt, die Küche war auch nicht viel wärmer. Sonntags nach dem Abwasch durfte ich nach Hause fahren, aber am Abend musste ich wieder dort sein. Beim Warten in Werder auf den Zug habe ich mir einen Teil meiner Beine erfroren. Das konnte ich erst auskurieren, als ich wieder zu Hause war. Aber diese Leute gaben mir 20 statt 10 Mark. Ich hatte mir einen Kalender angeschafft, wo ich jeden Abend den Tag oder das Datum durchgestrichen habe. Am Ende der Zeit habe ich drei Kreuze gemacht. Als mein Vater mich holen wollte, weil ich mich bei meiner künftigen Arbeitsstelle vorstellen wollte, bekam ich keinen Tag Urlaub. Jetzt, viel später, habe ich erfahren, dass mir ein Urlaub von 14 Tagen während dieses Pflichtjahres zugestanden hätte. Ich kann nur sagen: Nie wieder, nie wieder! Brunhilde Zech, Golm
Brunhilde Zech, Golm
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: