zum Hauptinhalt

Lesermeinung: Am Puls der Zeit

Zu: „Eiskalte Welt“, 23.2.

Stand:

Zu: „Eiskalte Welt“, 23.2.

„Geil, geil!“ schrieen einige Halbwüchsige einer Potsdamer Gesamtschule, als Martin am Ende des Stücks „Der Junge, der unsichtbar wurde" im Theater Havarie im T-Werk seine Kalaschnikow auf Schulleiter, eine Mitschülerin und auf die Zuschauer richtete. Dem Ohren betäubenden Dauerfeuer folgte ein vorsichtiger Beifall und erstaunlich viele Fragen, die sich im anschließenden Gespräch Darsteller und Zuschauer wechselseitig stellten. Warum Martin nicht seine Eltern erschossen habe, die trügen doch die Hauptschuld, will eine Schülerin wissen. Und ein anderer weiß längst, was für „Eltern“ das wären. Als der Bühnen-Ehemann seine Angetraute an ihr erster Rendezvous während eines Schulfestes zu erinnern versucht, meint diese kalt , sie könne sich nur an eine Kanalratte erinnern, der sie einst begegnet sei. An dieser Stelle flüstern sich zwei 14-Jährige unter den Zuschauern spontan zu: „Und sie ist ein Stück Scheiße!“ und treffen damit unbewusst den Nerv des Stückes, das durch seine Absurdität besticht und provoziert, Heranwachsende und bereits Herangewachsene gleichermaßen. Mit dieser Inszenierung setzte das Theater Havarie einen vorzüglichen Akzent, der zunehmenden Gefühllosigkeit und den Egoismen unserer Zeit etwas entgegenzusetzen. Und sei es „nur“ durch ein Gespräch über den Amoklauf von Erfurt.

Ob denn die Jugendlichen mit ihren Eltern über das Stück sprechen werden, will die Regisseurin wissen und erntet bereitwilliges Kopfnicken. Das Hingucken scheint sich gelohnt zu haben.

Andreas Flämig, Per E-Mail

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })