Lesermeinung: Auf Moses'' Spuren
„Wohin wollt ihr? – nach Sinai, in die Wüste, zu den Terroristen und euch vielleicht noch entführen lassen – ja, seid ihr denn verrückt geworden?
Stand:
„Wohin wollt ihr? – nach Sinai, in die Wüste, zu den Terroristen und euch vielleicht noch entführen lassen – ja, seid ihr denn verrückt geworden?“ So oder ähnlich waren die Reaktionen von Verwandten und Kollegen, als sie vom Ziel der Studienfahrt des Potsdam-Kollegs hörten. Schon bei der Planung zeigte sich deutlich, wie undifferenziert das Bild vieler Menschen bei uns ist, wenn es über die Grenzen Europas hinaus geht, und was all die Nachrichten aus dem Nahen Osten bewirken. Wir, Studierende in Kursen der Fächer Geschichte, Deutsch und Politische Bildung, waren der Meinung, dass nur Wissen und eigene Erfahrungen mit Vorurteilen und Vorverurteilungen aufräumen können. Wir wollten uns also ein eigenes Bild machen. Eine Reise von einer Woche bietet dafür nicht allzu viel Spielraum, doch kann man dabei mehr vermitteln als fünfzig normale Unterrichtsstunden zu diesem Thema vermögen. Schnell wurde allen Studierenden deutlich, dass der 11. September und der letzte Golfkrieg auch in diesen Gebieten deutliche Spuren hinterlassen haben. Nicht nur die wirtschaftliche Haupteinnahmequelle, der Tourismus, ist zum Erliegen gekommen. Überall empfingen uns aber freundliche, aufgeschlossene Menschen, ob es die Beduinen in der Wüste waren, die Händler auf den Basaren, die Kameltreiber am Moses-Berg, die Polizisten in der jordanischen Polizeistation, die Jeepfahrer bei der Wüstentour oder die Fleischer in der Wartehalle am Hafen von Nuweiba auf dem Weg nach Saudi Arabien, die mit uns spontan eine deutsch-arabische Fußballmannschaft gründeten. Mehr als einmal gab es Tee, süßen arabischen Kuchen und viele Fragen, auch die obligatorischen „Kamelherden“ im Tausch gegen einige weibliche Studierende waren im Angebot. Kaum einer von uns hätte vermutet, welche Anziehungskraft die Wüste haben kann, welche Kulturschätze sie birgt und nach welchen Gesetzen sich das Dasein in dieser bizarren Landschaft organisiert. Fern von aller Hektik und zeitlichem Druck gestaltet sich das Leben der Beduinen, immer auf die Organisation des Notwendigen konzentriert, dabei streng religiös. Dann der Gegensatz in den ägyptischen Küstenstädten wie Sharm el Sheikh: Künstlich dem Geschmack des Tourismus unterworfen, verraten sie nur langsam etwas von arabischer Tradition und Lebensart. Dass Arabien nicht gleich Arabien ist, zeigt sich besonders, wenn man eine länderübergreifende Exkursion erlebt, wie wir mit dem Abstecher nach Jordanien in die nabatäische Felsenstadt Petra. Die vielen Tanklaster, die uns auf dem Weg dorthin als „rollende Öl-Pipeline“ begegneten, verweisen noch immer auf das Wirtschaftsembargo gegen den Irak und auf die besondere Rolle Jordaniens als eines Landes zwischen Israel und Saudi Arabien. Auch hier waren es – neben den Kulturschätzen – vor allem die Menschen, die uns für sich einnahmen. Überraschend für uns war es zu erfahren, mit welchem Vertrauen die Jordanier sich den Touristen gegenüber verhalten, wie viel Interesse an der europäischen Lebensweise und Kultur herrscht und wie leicht man sich sprachlich aneinander anpassen konnte. Mit dieser Studienreise gelang es, das historische Bild vom Sinai und von Jordanien zu veranschaulichen, einen vielfältigen Blick auf die eigenen kulturellen Wurzeln zu werfen, die Auswirkungen der jüngsten politischen Ereignisse auf diese Gebiete zu erfahren, dabei aber vor allem Menschen zu begegnen und ihre Lebensweise zu studieren. Vorurteile abbauen war das Ziel. Es ist uns nicht schwer gefallen es zu erreichen. Teilnehmer an der Studienfahrt „Sinai“ des Potsdam-Kollegs
Teilnehmer
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