Lesermeinung: Bauverwaltung überfordert – Bausünden vorprogrammiert
Zu: „Breiter Uferweg mit Pavillons an der Alten Fahrt“, 3.11.
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Zu: „Breiter Uferweg mit Pavillons an der Alten Fahrt“, 3.11.
Im Schweinsgalopp zur nächsten Bausünde. Mit einer „Studie“ wollen Bauverwaltung und Sanierungsträger vollendete Tatsachen schaffen. Für eine derartig herausragende Gestaltung ist doch wohl urbaner und landschaftlicher Anspruch mit Sensibilität an Historie, Architektur und Landschaft gefordert. All das vermisse ich beim Hamburger Planungsbüro, das übrigens den Flughafen BBI plant. Potsdam galt mal als die italienischste Stadt Deutschlands. Mit den Neubauten in der Breiten Straße, beispielsweise dem IHK-Gebäude, versucht die Stadt dagegen anzukämpfen. Und nun dieser Entwurf. Wo ist da die Leichtigkeit, das Einladende zum Verweilen, das Spiel von Wasser und Licht? Nichts davon ist zu sehen. Stattdessen sieht man geradlinige Plattenbefestigungen, wie beim Lustgarten, oder überdimensionierte, an Haltestellen erinnernde, Unterstände, die Pavillons darstellen sollen. Schlechter geht es nicht. Dagegen hebt sich der Entwurf von Löffler/Kühn positiv ab. Hier merkt man, dass gerade das Wasser gefühlvoll mit einbezogen wurde. Die Anordnung von zwei Uferwegen in verschiedenen Höhen ist genial, so kann der Fahrradverkehr vom Fußgängerverkehr getrennt werden. Wenn die Stadt nur noch die Möglichkeit sieht, Oberflächenmaterialien zu ändern, handelt sie bewusst fahrlässig. Auch mit dem Brückenneubau wurde ein Bauwerk errichtet, das zwar vom Wasser aus recht ansehnlich ist, jedoch aus der Sicht des zur Innenstadt Gehenden abstoßend wirkt. Welch trostloser Anblick, welch hässliche Beleuchtung – als schreite man über eine Autobahnbrücke. Ich glaube, dass die Bauverwaltung mit diesen Aufgaben überfordert ist. Deshalb sollten Bürger mit Sachverstand sich mehr einbringen. Hätten wir uns bei den Planungen des Landtags herausgehalten, würde man jetzt an einer Beton-Stahl-Glas-Konstruktion arbeiten. Mir graut es, wenn die Stadt plant, an der Ecke Friedrich-Ebert- / Schlossstraße ein Haus der Wissenschaft zu planen. Man wird eine Begründung finden, die historische Fassade des Plögerschen Gasthofes nicht wieder zu errichten und statt dessen modern bauen, was in Potsdam schnell zur Bausünde werden kann.
Dipl.-Ing. Dietrich Wesch, Potsdam
Die Neue Synagoge wird architektonischen Kriterien nicht gerecht
Potsdamer Architektur zeichnet sich seit Jahrhunderten durch Rücksichtnahme aus. Die Gebäude kommunizieren mit den Menschen und ihrer Geschichte, sie kommunizieren miteinander und ergänzen die Schönheit der Natur. Der Souverän der damaligen Welt schaute hin, dass Architekten Gesamtverantwortung übernahmen. Oft wider das Establishment der Architekten. Ein Beispiel ist der Bau des Brandenburgischen Tors. Heute vermeiden Architekten gerne die Verantwortung, suchen den Souverän auszuschalten. Bürokratische Regelwerke, die keiner mehr kennt, helfen dabei. Aber in der Demokratie ist das Volk der Souverän. Es verlangt mit Recht etabliertes Mitspracherecht und Transparenz.
Für die Potsdamer Architektur gelten Regeln wie für jede andere Architektur. Auf den Punkt gebracht, sind zehn Kriterien zu erfüllen: 1. Harmonische Straßenzüge 2. Sichtachsen (Ecken, Fernsichten, Highlights und Überraschungen) 3. Abgewogene Nutzung aller architektonischen Grundelemente (Linie, Dreieck, Quadrat, Rundung) „en Gros“ und „en Detail“. 4. Variable Dachlandschaften ohne unverzierte Flachdächer 5. Großzügige Deckenhöhen 6. Architektonische Retro- Zitate und geeignete zeitgenössische Zitate 7. Symmetrien und 3-5-7-9 Häuser; Asymmetrien speziell zur Auflockerung 8. Einbindung von Künstlern mit städtebaulicher Kompetenz bereits zum Anfang des Designs 9. Natürliche Materialien und Farben, kein Stahl und Glas als Hauptelement 10. Moderner Nullenergieverbrauch.
Das, was die „Neue Synagoge Potsdam“ genannt wird, erfüllt kaum eines dieser Kriterien. Deswegen ist sie geeignet, eine weitere Bausünde der Nachkriegszeit in Potsdam zu werden. Der „Gestaltungsrat Potsdam“ will ohne Kriterien in die Schlacht um den Wiederaufbau der Innenstadt Potsdam: Willkür scheint vorprogrammiert, denn das Establishment wird geleitet von ihrem Ikon Rem Koolhaas, der gemäß Wikipedia über Städtebau schreibt: „Its subtext is fuck context.“
Der Souverän sollte eingreifen; ihm wurde jedoch durch das Aufstellen von strikten Regeln das Rederecht entsagt.
Arno Gorgels, Potsdam
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