Lesermeinung: Belastungskriterien
Dächer der „Soldatenstadt“nicht mehr zulässig?Das tragische Einsturzgeschehen in Bad Reichenhall erinnern mich an einen Vorfall, der sich vor 40 Jahren im Wohnhaus meiner Mutter ereignete.
Stand:
Dächer der „Soldatenstadt“
nicht mehr zulässig?
Das tragische Einsturzgeschehen in Bad Reichenhall erinnern mich an einen Vorfall, der sich vor 40 Jahren im Wohnhaus meiner Mutter ereignete. Das Mietshaus in der Hegelallee wurde überwiegend von allein stehenden älteren Damen bewohnt. Ein Zufall wollte, dass sich die Bewohnerin der Einzimmerwohnung im Krankenhaus befand und die Mieterin der darüber liegenden im zweiten Zimmer schlief, als plötzlich die Decke herunterstürzte. Die Gründe dafür lagen in der unbelüfteten Einmauerung der Deckenbalkenköpfe im Wandauflager.
Der von außen unsichtbare Schaden wurde im Eiltempo behoben. Die unbeschadet gebliebene Krankenhauspatientin kam ins Altersheim. Bei den älteren Hausbewohnern und in der Stadt durfte es keine Interessenten solchen Geschehens geben. Auch heute wiegt die Denkmal erhaltende Aufgabe der Behörden schwerer als vorbeugende Bausubstanzuntersuchungen von Altstadtbereichen durch eine Fachbehörde. Aus meiner Erfahrung genügen der größere Teil aller Deckenbalken der nach 1730 erbauten Soldatenstadt, die durch die Hegelallee, Schopenhauerstraße, Charlotten- und Hebbelstraße begrenzt wird, in ihren Auflagerbereichen nicht mehr den zulässigen Belastungskriterien.
Die Tatsache, dass Decken bisher selten herabgestürzt sind, liegt wohl an der Scheibenwirkung der durch Wickelstaken und geschlagenen Lehmbrei an die Giebelwände angepressten Holzbalkendecken der Typenhäuser eines Jahrzehnts. Sollte diese Scheibenwirkung durch Erschütterungen oder Eingriffe gestört werden, könnten sich solche Ereignisse, wie das anfangs dargestellte, jederzeit wiederholen. Das vermeidbare Unglück von Bad Reichenhall lehrt, erkannte Gefahrenmomente weder zu verdrängen noch deren Behebung zu verschieden.
Die Entlastungsversuche behördlicher Verantwortungsträger sollten uns nachdenken lassen und an Stelle gesprochener Mitgefühlsbekundungen lebenserhaltender Vorbeugungsmaßnahmen von den Behörden zu fordern.
M. Meyer, Architekt, Caputh
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