Lesermeinung: Billy Wilder gegen Hellmuth Karasek
2004 rezensiert Hellmuth Karasek – Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegel und bekannter Literaturkritiker – noch einmal Billy Wilders großartige Filmkomödie „Eins, zwei, drei2 von 1961, u.a.
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2004 rezensiert Hellmuth Karasek – Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegel und bekannter Literaturkritiker – noch einmal Billy Wilders großartige Filmkomödie „Eins, zwei, drei2 von 1961, u.a. mit Horst Buchhholz und Lieselotte Pulver. Er erinnert sich an die Filmarbeiten in den Berlin, den Mauerbau, der alles platzen ließ, den Umzug des Filmstabes nach München. Er berichtet über die Stimmung in der nunmehr geteilten Stadt und den Verriss des fertigen Filmes durch die (West-)Berliner. In der Darstellung des Flops an den deutschen Kinokassen schwingt noch heute eine gewisse Häme, eine gewisse Schadenfreude gegenüber dem großen Meister der Komödie mit. Die Stimmung der (West-)Berliner und der (West-)Deutschen hat er aber nicht getroffen.'' Eine neue, zeitgemäße Sichtweise hat Karasek nicht anzubieten. Er geht unmittelbar zurück auf die damalige, eigene Befindlichkeit, seine Nabelschau, und das war''s. Ist das für einen renommierten Kritiker nicht ein bisschen wenig, fast ein halbes Jahrhundert später? Die Mauer ist gefallen, der Kalte Krieg beendet. Berlin ist keine geteilte Stadt mehr. Auch Herr Karasek hat neue Nachbarn. Billy Wilder''s Komödie ist spritzig und geistig herausfordernd. Sie stellt die in Konfrontation befindlichen Ideologien, Weltanschauungen, Wirtschaftsmechanismen in allen Facetten überspitzt gegeneinander und zeitweilig komplett in Frage. Es wirkt wie ein intellektuelles Spiel, ein Gedankenexperiment. Man muss nur die Toleranz entwickeln, das zu erkennen. Der westliche Kommerz hilft dabei wenig. Und, last not least, es können mehrere, ältere Generationen in den Schützengräben des Kalten Krieges verharren. Wenn die Jugend nicht mehr mitspielt, kommt alles sehr rasch ins Rutschen. Dass Karasek dies 1961 nicht wahrnehmen konnte, muss man ihm angesichts der damaligen, dramatischen Situation vergeben. Daß er heute nichts Reiferes anzubieten hat, stellt ein geistig-moralisches Grundproblem hierzulande dar. Der Osten wurde 1990 zu Selbstanalyse und Neu-Orientierung gezwungen. Der Westen verharrte auf nahezu allen Positionen, fühlte sich durch die Ereignisse bestätigt. Auch wenn bestimmte Positionen falsch waren und bis heute falsch sind, z.B. zur Bodenreform, zur Sozialgesetzgebung und dem Familienrecht im Osten usw. Als deutscher Bildungsbürger (West) reist man heute sehr viel und weit, reflektiert die Dinge geradezu toskanisch verklärt''. Aber man tut sich trotzdem sehr schwer, die eigene Nabelsichtigkeit abzulegen, wirklich neue Visionen zu entwickeln, die die Zukunft sichern. Die intellektuelle und wirtschaftliche Krise dieses Landes hat auch damit zu tun. Ein wirklicher Neuanfang nach 1990, auf beiden Seiten, mit einer gemeinsamen, neuen Verfassung, hätte das möglicherweise vermieden. Leute wie Billy Wilder hätten dafür das notwendige Format mitgebracht. Andere eben nicht. Dr. Bernd-R.Paulke, Potsdam
Dr. Bernd-R.Paulke
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