Lesermeinung: Das Kultige ABBA überlassen
Zu „Potsdam ist Kult“, PNN v. 28.
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Zu „Potsdam ist Kult“, PNN v. 28.1.2004: Es ist sehr schön, wenn man mit einer gehörigen Portion Selbstvertrauen an neue Aufgaben herangeht, so wie es unsere Stadt bei der Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas oder beim Aufbau der Garnisonkirche tut. Trotzdem beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wenn ich da lese, dass Potsdam „Kult“ sein soll, dass die Garnisonkirche mit 50 Mio Euro, aufzubringen von Mäzenen und Sponsoren, bis 2010 in neuem Glanze wiedererstehen. Der Katzenjammer könnte schneller da sein, als es manchen lieb ist, wenn Potsdam großspurig bzw. provinziell auftritt oder die Aktivitäten als Gag inszeniert. Deshalb: Potsdam ist alles mögliche, nur nicht kultig, und es wird und sollte es auch nicht werden. Das Kultige kann man Berlin-Friedrichshain, ABBA oder bestimmten Biersorten überlassen. Warum wirbt Potsdam nicht mit Watteau oder Pesne? Ersterer wurde vor allem in Sanssouci durch Friedrich II. gesammelt und letzterer war oft genug hier. Meinen die Verantwortlichen, dass diese Namen nicht genug „ziehen“? Dann hätten sie den Sinn der Bewerbung nicht verstanden, denn die Kulturhauptstadt hat auch die Aufgabe und Funktion, verborgene Schätze offen zu legen. Davon hat Potsdam reichlich. Das bezieht sich vor allem auf die Architekturgeschichte und geht über das viel zitierten „Weltkulturerbe“ hinaus. Daneben steht z.B. ein leistungsfähiges Theater, dem sicher geholfen wäre, wenn es nicht nur einen Neubau, sondern auch etwas mehr Planungssicherheit im Hinblick auf den laufenden Betrieb hätte. Aber warum muss man ausgerechnet mit der Garnisonkirche anfangen? Ich kann die Symbolkraft ja verstehen, und der wunderbare Bau von Gerlach hat es sicher nicht verdient, auf ewig für die pompöse Farce von 1933 mit Nichtachtung bestraft zu werden. Gleichzeitig weist Potsdam aber einige Eintrittskarten auf, die kein Ruhmesblatt darstellen: Kommt man von Klein Glienicke, fällt als erstes die verrottete Villa Schöningen auf, ein Persiusbau. Kommt man von Caputh, ist es die Speicherstadt. Aus Richtung Spandau fällt die Villa Tiedke an der Ecke Jägerallee ins Auge, ebenfalls ein vergammelnder Persiusbau. Und wenn schon Wiederaufbau, sollte doch alle Kraft, die unsere Stadt hat, auf eine städtebaulich ansprechende Gestaltung des Alten Marktes gerichtet werden, der jedem Gast, der über die Lange Brücke fährt, negativ auffällt. Wenn es dort aber in dem bisherigen Tempo weitergeht, empfehle ich eine Neubewerbung im Jahre 2050. Dr. Berend Diekmann, FDP Potsdam
Dr. Berend Diekmann, FDP Potsdam
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