zum Hauptinhalt

Lesermeinung: „Den schnappen wir uns auch noch!“

Linksverkehr – Falsche Richtung, falsche Adresse: Eine Stunde auf der Langen Brücke mit der Fahrradstaffel der Potsdamer Polizei, 18.9.

Stand:

Linksverkehr – Falsche Richtung, falsche Adresse: Eine Stunde auf der Langen Brücke mit der Fahrradstaffel der Potsdamer Polizei, 18.9. 2007

Das erste Mal ahnte ich, dass etwas nicht stimmt, als ich nachts um elf auf eine Grüne Ampel am Nauener Tor zufuhr und mich nach links vergewisserte, dass von dort kein Auto kam. Als ich wieder nach vorn schaute, war die Ampel bereits rot, ich war auf der Fahrbahn und fuhr natürlich trotzdem weiter. Das einzige Auto weit und breit war so weit weg, dass ich es erst als Polizeiauto erkannte, als es mir hinterherfuhr. Die beiden Polizistinnen interessierte meine Geschichte nicht, sie hatten mich beim Überfahren einer Roten Ampel gesehen und erhielten von mir 25 Euro. Ein Radfahrer fuhr vorbei und rief „Verbrecherjagd in Potsdam“. Die eine Polizistin sagte: „Den schnappen wir uns auch gleich noch!“. Ich hoffe, dass ich die Beamten lange genug aufgehalten habe. Man hört ständig – mit Verlaub – das Geschwätz über Radfahrerunfälle. Wenn man fragt, wie denn ein Fahren auf dem Fußweg morgens um zwei konkret mit der Unfallproblematik zusammenhängt, bekommt man nur Abstruses zu hören. Auch von den PNN wurde nicht problematisiert, warum das Abkassieren auf der Langen Brücke das Unfallproblem beheben sollte. Dass die erste geplante Trambrücke mit einem breiteren Radweg zum Zweirichtungsradweg geadelt werden konnte, der derzeitige Radweg aber nicht, problematisiert der Autor nicht, auch nicht, dass es auf der Südseite der Brücke keine Radwegführung zum Busbahnhof gibt. Man kann einwenden, dass man von Straßenpolizisten kein Gespür für Verhältnismäßigkeit verlangen kann, dass sie nur nach Gesetzeslage mit Ja oder Nein unterscheiden können. Auf diese statische Sicht sollte man sich aber nicht zurückziehen: Straßenpolizisten haben einen schweren Job. Das prägt ihre Wahrnehmung. Trotzdem: Die Belastungen einer Berufsgruppe dürfen nicht dazu führen, dass diese das gesellschaftliche Klima prägt. Das Radwegenetz darf dem Straßennetz nicht gleichgesetzt werden: Radwege werden so nicht geplant, weil in unseren Städten zu wenig Platz ist und weil unser Verkehrssystem auf das Auto ausgerichtet ist. Erst seit wenigen Jahren wird flächendeckend versucht, die Radfahrer konsequent bei der Planung zu berücksichtigen. Wir haben ein lückenhaftes Radwege-Netz und Potsdam ist keine besonders fahrradfreundliche Stadt, aber es war ein unausgesprochener Konsens in der Bürgerschaft, die Situation dadurch zu bewältigen, dass man tolerant mit den Verkehrsregeln umgeht. So wurde das Radfahren auf Fußwegen geduldet, weil man auf Pflasterstraßen kaum fahren kann. Es gibt für diesen Fall den Grundsatz der Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme.

Wo dieser Grundsatz verletzt wurde, hat die Potsdamer Polizei über viele Jahre hinweg nicht agiert - und darüber haben sich Bürger zu Recht beschwert. Mittlerweile haben wir aber eine noch absonderlichere Situation: Die Polizei reagiert in Fällen wirklicher Rücksichtslosigkeit nach wie vor nicht. Die übertriebene Repression gegen alle anderen Radfahrer erscheint vor diesem Hintergrund als Kompensationshandlung. Das Problem der Willkür zeigt sich hier übrigens idealtypisch für unseren gesellschaftlichen Zustand: Der Rechtsstaat will die Willkür beschränken, indem er klare Regelungen schafft. Wir haben aber mittlerweile so viele Regelungen, dass sie unüberschaubar und widersprüchlich werden. Das schafft in der Deutung der Regelungen neue Willkür. Es bleibt nur, die Willkür zu vermeiden, indem man nicht auf Regelungen, sondern auf die Sache selbst schaut. In der Sache selbst darf ich auch mal freihändig fahren oder einen Weg abkürzen, solange ich niemanden gefährde. Auf der Ebene der Sache ist der Polizist kein Abstrafer, sondern ein Professioneller. Der Grundsatz lautet: Ich bestehe auf der Einhaltung der Regel, setze sie aber permissiv um, bestrafe also nur gefährdende Abweichungen.

Wolfram Meyerhöfer, Potsdam

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })