Lesermeinung: Eine sehr geregelte Turmbesteigung in Potsdam
Wir sind am Sonntag auf den Turm der Nikolaikirche gestiegen. Das hat für jeden 5 Euro gekostet, was für eine Turmbesichtigung irgendwie recht viel Geld schien.
Stand:
Wir sind am Sonntag auf den Turm der Nikolaikirche gestiegen. Das hat für jeden 5 Euro gekostet, was für eine Turmbesichtigung irgendwie recht viel Geld schien. Aber sie hatten einen sehr teuren und modernen Automaten, an dem man sich eine Karte ziehen musste. Die Wenigsten haben verstanden, wie er funktioniert hat. Man konnte zwischen drei Sprachen wählen! Allerdings musste man auf jeden Fall mit dem Finger auf den Bildschirm drücken. Das stand schon mal nicht da. Bis der Automat anfing, das Geld anzusaugen, hatte man schon oft vergeblich auf die Scheibe gedrückt. Man musste zum Schluss auf ein grünes Feld tippen, auf dem stand: „Zahlungsvorgang einleiten“. Und schon saugte der Automat einen Geldschein ein. Dann hat er mit zwei wunderschönen Geräuschen, ungefähr „ÖÖÖÖHHHHNNNN“ und „SCHSCHSCHW- UUUUUUUG" , ganz langsam die vier Zehn-Euro-Scheine zurückgegeben. Wir haben nämlich mit einem Fünfziger bezahlt, um zu sehen, ob der Automat gut rechnen kann.
Mit der Karte nun musste man an ein elektronisches Drehkreuz, damit man völlig automatisch durchgelassen wurde. Von diesen automatischen Drehkreuzen haben sie auf dem Weg nach oben vorsichtshalber noch weitere zwei eingebaut. Die zählen die Besucher mit. Wenn mehr als vierzig Leute auf dem Turm sind, darf erst mal keiner rauf. Um das den Besuchern mitzuteilen, hat man einen coolen Computerbildschirm montiert, der den aktuellen Stand der Besucherzahl anzeigt. Wegen dieser ganzen Technik sind die fünf Euro bestimmt nicht zu viel. Das kostet! Natürlich waren nur insgesamt fünf Leute auf dem Dach. An einem Sonntag bei strahlendem Wetter. Die Karten hätten auch prima von den drei Helfern unten an der Tür verkauft werden können. Aber mit so tollen Automaten macht die Sache bestimmt doppelt Spaß. Man weiß ja nie, vielleicht kommt ein großer Bus aus z.B. Frankreich, und dann wollen plötzlich auf einmal 45 Leute zur selben Zeit auf den Turm, da käme man ja völlig durcheinander mit dem Zählen. Der Turm der Nikolaikirche ist zwar noch nicht so berühmt wie z.B. der Eiffelturm, aber die Leute, die diese Drehkreuze und diesen tollen Automaten gekauft haben, wissen sicher, dass bald viele hunderte Menschen kommen werden, so dass man dann mit den zusätzlichen Drehkreuzen die Menschenströme regeln muss. Oben an den Türen gab es sogar elektronische grüne Schilder, die an der Treppe einen grünen Pfeil darstellten, der nach unten zeigen konnte! Ganz schick. Nicht nur ein einfacher Pfeil, sondern einer, der so floss, mit einer Bewegung. Ganz eindeutig: man sollte dieser Bewegung nach unten folgen. Durch diese Tür, durch die man auch hochgestiegen war, sollte man also auch heruntergehen. Dieser Pfeil war sehr hilfreich, weil es eine andere Tür auf dem Turm nicht gab. Viele der Besucher, die schon den Automaten schlecht verstanden hatten, werden sehr verwirrt gewesen sein, und eine zweite Tür gesucht haben, durch die man wieder herunterkommen könnte. Auf den Pfeil konnte man, glaube ich, nicht drücken. Auch die Plattform war sehr edel, alles war aus Edelstahl und konnte nicht rosten. Wie die Drehkreuze. Der Blick herum war aber schon schön.
Matthias Hassenpflug, Berlin
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