Lesermeinung: Es ist gerecht, wenn Hartz-IV-Empfänger tricksen
Hilke fordert Rückzug Scharfenbergs. Ministerium: “Beratung nicht hinnehmbar“24.
Stand:
Hilke fordert Rückzug Scharfenbergs. Ministerium: “Beratung nicht hinnehmbar“
24.1. 2008
Die Schreier, die sich zum Fall „Jana Schulze“ zu Wort melden, diskutieren unsinnig an der Sache vorbei. Niemand müsste auf solche Weise tricksen, wenn man es nicht nötig hätte. Ein Beispiel: Ein Hartz-IV-Empfänger verkauft sein Fahrzeug, ohne das zu melden, und erhält so einen einmaligen Zugewinn von 2000 Euro. Wie lange hält denn so etwas vor? Einen oder zwei Monate? Und dann ist der vermeintliche Segen auch schon vorbei.
Auf der anderen Seite prangert der Bundesrechnungshof Jahr für Jahr die Verschwendungssucht der Politik an – ohne Erfolg. Milliarden Euro werden verpulvert und niemand wird zur Rechenschaft gezogen. Und nun soll jemand, der das Herz auf dem rechten Fleck sitzen hat, abgestraft werden.
Gerd W. Pachan, Potsdam
Wir brauchen eine Art „New Deal“!
Es ist legal, wenn ein Konzern zur
Profitmaximierung tausende von Beschäftigte entlässt und in Not stürzt, illegal ist es, als Hartz-IV-Empfänger die letzten Euro dem Staat vorzuenthalten. Wen wundert es, wenn die allgemeine Achtung vor Politik und Recht schwindet?
Legal ist nicht legitim. Für die Legitimität ist entscheidend, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Gesetze als gerecht empfindet. Der Grundsatz von Hartz IV folgt zwar einem richtigen Prinzip: Jeder soll sich mit seiner Leistungskraft in die Gesellschaft einbringen und bei Arbeitslosigkeit unterstützt werden. Aber im Gegenzug sollte jeder auch die Chance zur Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand erhalten und nicht ein Schattendasein am Rande derselben fristen müssen.
Das Prinzip der Marktwirtschaft ist erfolgreich, aber inhuman. Ein Ansatz zur Gerechtigkeit war Erhardts soziale Marktwirtschaft, die aber unter heutigen Bedingungen völlig neu konzipiert werden müsste. Der Mindestlohn könnte ein sinnvoller Baustein dazu sein, gerade in Ergänzung zu den Hartz-IV-Gesetzen, die derzeit das Lohnniveau ins Unverschämte drücken. Eine Gesellschaft wird es sich auf Dauer nicht leisten können, dass ein Drittel der Bevölkerung von der Teilnahme am reich gedeckten Tisch ausgeschlossen ist. Angesichts der bevorstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen, zum Beispiel der notwendige Wandel zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft, werden wir uns solche Grabenkämpfe nicht leisten können.
Was wir brauchen ist eine Art „New Deal“, wie einst in Amerika, einen Aufbruch, an dem alle Gesellschaftsschichten gleichberechtigt beteiligt sind. Darüber zu reden ist wichtiger als die Aufregung über Jana Schulze.
Michael Neumeier, Potsdam
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