Lesermeinung: Für den Wiederaufbau der Garnisonkirche
„Bauwerke können grundsätzlich nicht schuldfähig sein“In letzter Zeit sind Stimmen laut geworden, die den Wiederaufbau der Garnisonkirche prinzipiell ablehnen oder dem kritisch gegenüberstehen. Ich gehöre zu den Befürwortern des Wiederaufbaus, was für mich heißt: Sich der Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit unserer Geschichte bewusst zu stellen und sie nicht zu leugnenDemokratien zeigen die Tendenz, geschichtsmächtige Bauwerke mit interpretatorischen Konflikten zu belasten.
Stand:
„Bauwerke können grundsätzlich nicht schuldfähig sein“
In letzter Zeit sind Stimmen laut geworden, die den Wiederaufbau der Garnisonkirche prinzipiell ablehnen oder dem kritisch gegenüberstehen. Ich gehöre zu den Befürwortern des Wiederaufbaus, was für mich heißt: Sich der Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit unserer Geschichte bewusst zu stellen und sie nicht zu leugnen
Demokratien zeigen die Tendenz, geschichtsmächtige Bauwerke mit interpretatorischen Konflikten zu belasten. Unproduktiv sind nicht die unterschiedlichen Sichtweisen, sondern der Versuch, sich einen moralischen oder tatsächlichen Vorteil in der Debatte dadurch zu verschaffen, dass man die Definitionshoheit beansprucht, welche Aspekte der Geschichte als „gut“ und welche als „schlecht“ zu qualifizieren sind. Die Garnisonkirche wurde von den Nazis missbraucht. Das dann menschenverachtende staatliche System der Nazis der Garnisonkirche, wenn auch nur symbolisch, anlasten zu wollen, ist intellektuell unredlich und politisch unklug. Bauwerke können grundsätzlich nicht schuldfähig sein. Auschwitz wurde nicht durch Bauwerke begünstigt, dieses unsägliche Verbrechen begingen Menschen. Die Täter sind bekannt – die Garnisonkirche hat mit ihnen so wenig zu schaffen, wie das Brandenburger Tor, von dem wir wissen, dass es oft als Kulisse für die braunen Marschkolonnen herhalten musste. Kein Mensch kam bisher auf die Idee, es deswegen abzureißen zu wollen.
Es gibt den Einwand, dass die Garnisonkirche ein Symbol für problematische preußische Traditionen sei, mehr noch: Es gäbe einen bruchlosen Kausalzusammenhang zwischen dem „preußischen Militarismus“ und den Naziverbrechen. Ich will diesen komplexen Sachverhalt hier nicht näher beleuchten. Aber es gibt sehr viel mehr Wertungen dieser „Traditionslinie“, als uns die oben zitierte Monokausalität weismachen möchte. Das, was Potsdam charakterisiert, ist durch einen einmaligen, historischen Hintergrund festgelegt. Die Zeugnisse der Vergangenheit sind gerade für Potsdam konstitutiv. Ich betrachte diese starke historische Prägung nicht als „Last“, sondern als eine Chance: Potsdam ist unter dieser Prämisse „einzigartig“. Dazu gehört auch die Garnisonkirche.
Es gibt die Befürchtung, dass die Garnisonkirche zum Kristallisationskeim rückwärtsgewandter Kräfte werden könnte. Ich nehme dieses Argument ernst, aber es ist doch evident, dass nicht das Bauwerk an sich für das Aufkeimen solcher Tendenzen verantwortlich sein kann. Wenn solche Kräfte auftreten, so sind sie heute schon vorhanden. Das aber wäre die Situation, in der jeder Bürger aufgefordert wäre, sich für die Stärkung der Demokratie in dieser Stadt zu engagieren, ja, die Garnisonkirche gegen diese Gruppierungen nachgerade in Schutz zu nehmen. Das Nutzungskonzept der künftigen Garnisonkirche bietet hinreichende Gewähr dafür, dass die Assoziationen, die sich mit dem Bauwerk verbinden, kritisch reflektiert werden. Insbesondere wird der Gedanke der Versöhnung eine besondere Rolle spielen.
Die Entscheidung für oder gegen den Wiederaufbau verrät viel über unser Verhältnis zu unserer Geschichte. Diese Entscheidung ist ein Zeichen dafür, ob wir den Mut haben, uns mit einem geschichtlich sperrigen Bauwerk auseinander zu setzen, oder ob wir in Selbstvergessenheit so tun, als ob wir in einem geschichtlichen Nirvana lebten.
Letzteres kann keiner wirklich wollen – schon unserer eigenen Nachfahren wegen.
Dr. rer. nat. Peter Braun, Potsdam
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