Lesermeinung: Gedenk- und Begegnungsstätte: Nebensächliche Details oder solide Arbeit?
Zu: „Informationen eines Überläufers“, 25.1.
Stand:
Zu: „Informationen eines Überläufers“, 25.1. und den nachfolgenden Leserbriefen
Als Trost für die erneute Verzögerung der Eröffnung kündigt die Leiterin der Gedenkstätte, Frau Dr. Reich, „sensationelle Enthüllungen“ an. Ich bezweifle, dass die Akten einiger Häftlinge wesentlich dazu beitragen können. Ich habe den Eindruck, das Schicksal der ehemaligen Gefangenen spielt bei der Aufarbeitung der Geschichte eine sehr untergeordnete Rolle. Es wird immer wieder versucht, durch nebensächliche Details die Schicksale der Gefangenen in den Hintergrund zu rücken. Die Zeitzeugenberichte müssen einen zentralen Platz in der Ausstellung einnehmen! Sie schildern die Verletzung elementarer Menschenrechte, die absolute Rechtlosigkeit und das völlige Ausgeliefertsein. Nur so kann den in den heutigen Rechtsvorstellungen gefangenen Mitmenschen das Ausmaß des Terrors dieses menschenverachtenden Systems annähernd erfahrbar gemacht werden. Das Gebäude ist nicht das Hauptexponat, es ist nur der Rahmen, in dem sich unzählige menschliche Tragödien abgespielt haben. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass die Gedenkstätte mit der geplanten Dauerausstellung ein würdiges, ihrer historischen Aufgabe entsprechendes Gesicht bekommt.
Prof. Dr. Hans Günter Aurich (von April bis September 1952 Häftling in der Leistikowstraße)
Zu : „Mahnwache vor dem KGB-Gefängnis“, 7.2.2011
Ich kann die Protestierer vor der Gedenkstätte verstehen. Einige waren dort inhaftiert und haben dort gelitten. Und sie wollen ihr Leiden dokumentiert sehen. Das ist legitim. Wenn aber Proteste in Persönlichkeitsbeschädigung ausarten, dann ist dies höchst bedenklich. Ich kenne die berufene Gedenkstättenleiterin Frau Dr. Reich schon als Studentin, von ihren Veröffentlichungen und später als langjährige, erfolgreiche Mitarbeiterin in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Ihr Leitspruch war damals schon: „Entweder richtig oder gar nicht“. Nach meinem Wissen hat sich niemand von den zahlreichen Opfern beider Seiten, mit denen sie in Sachsenhausen zusammengearbeitet hat, über mangelndes „menschliches Maß“ und Inkompetenz beklagt. Im Gegenteil. Ihre Arbeit wurde anerkannt und mit Dank bedacht. Weil sie nicht anders kann, möchte sie auch hier solide Arbeit leisten.
Das braucht Zeit. Es darf nicht zugelassen werden, dass per Rufmord erneut Opfer geschaffen werden. Man soll Frau Dr. Reich arbeiten lassen! Sie hat eine Mission. Es gibt ein Kuratorium und einen Förderverein, deren Aufgabe es ist, diese Arbeit kritisch zu begleiten.
Dr. Rainer Schnoor, Potsdam
Wenig beachtetes Haus zu einem professionellen Ort machen!
Die Gedenkstätte in der Leistikowstraße ist sensibel zu behandeln, da dort großes Unrecht geschehen ist, das nicht vergessen werden darf. Andererseits sind nicht alle ehemaligen Häftlinge nur Opfer gewesen. Diese Zwiespältigkeit zum Ausdruck zu bringen, ohne das geschehene Unrecht zu relativieren, ist eine schwierige Aufgabe. Dass Frau Reich sich dieser Aufgabe stellt, ist aller Ehren wert. Gleichzeitig ist an dieser Stelle eine solche differenzierende und sorgfältige Arbeit wichtiger als die Befriedigung kurzfristigerer Ansprüche der ehemaligen Insassen. Deren Enttäuschung über eine gewisse Zeit der Schließung ist verständlich. Dabei wird aber die Voraussetzung geschaffen, das Haus zu einem Ort nachhaltigen Gedenkens und Erinnerns zu entwickeln. Mit der Übertragung des Amts auf Ines Reich, die sich in der Gedenkstätte Sachsenhausen außerordentlich bewährt hat, besteht für die Leistikowstraße die Möglichkeit, sich aus einem wenig beachteten und von Laien betreuten Haus zu einem professionellen Ort des nachhaltigen Gedenkens und Erinnerns zu wandeln. Frau Reich vorzuwerfen, dass sich seit fünf Jahren nichts getan habe, ist unlauter, da sie erst seit letztem Jahr im Amt ist. Ebenfalls ist unklar, warum der hohe Anspruch, der an das Niveau der Ausstellung gestellt wird, nun als Anlass zur Kritik verwendet wird. Die ehrenamtliche Arbeit des Fördervereins gerade im Hinblick auf die Erhaltung des Hauses ist nicht hoch genug zu bewerten. Jetzt aber ist es Zeit, diesen Ort zu professionalisieren!
Dr.-Ing. Frauke Weichhardt, Potsdam
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