Lesermeinung: Humboldt war kein ’interkultureller Denker’
„Sein Leben stand für echte Mobilität“Der Potsdamer Romanist Ottmar Ette präsentiert Alexander von Humboldt in zwei neuen Büchern als Vordenker der Globalisierung. 27.
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„Sein Leben stand für echte Mobilität“
Der Potsdamer Romanist Ottmar Ette präsentiert Alexander von Humboldt in zwei neuen Büchern als Vordenker der Globalisierung. 27.3. 2009
Alexander von Humboldt als „Star“ seiner Zeit und „Vordenker der Globalisierung“ zu apostrophieren, ist nicht nur falsch, sondern in Bezug zu den Negativmerkmalen dieser Begriffe geradezu beleidigend für Humboldt. Die Verhältnisse vor zweihundert Jahren, den heutigen so gegenüberzustellen, dass die Person losgelöst wird von ihren damaligen Lebensverhältnissen, um sie in die Jetztzeit zu bringen, widerstrebt einer sich seriös gebenden Wissenschaft. Für gebildete Preußen war der Gebrauch der französischen Sprache zu Zeiten Humboldts ebenso üblich, wie heute der modische Gebrauch des Englischen in Deutschland und keineswegs ungewöhnlich wie der Autor suggerieren will. Humboldt ist in keiner Weise in seiner nachfolgenden Zeit tot geschwiegen worden, sondern immer ein Beispiel für Forschergeist und Universalismus geblieben. Dass die Presse und in heutiger Zeit die Medien ihn später langweilig fanden, hat nichts mit der stets vorhandenen allgemeinen Akzeptanz in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zu tun, sondern ist schlicht ein Versäumnis dieser Spielart des Informationsvertriebs. Herr Ette wäre ein grandioser Mann, wenn er tatsächlich persönlichen Geschmack nachweisen könnte (dies impliziert: eine wissenschaftlich fundierte Erkenntnis) und nur der entscheidet darüber, ob jemand als ein „großer Schriftsteller“ bezeichnet wird oder nicht.
Ich bin selbst ein ’Freund’ Humboldts, habe seine Tagebücher der Südamerika-Reise gelesen, lange vor der inzwischen erfolgten so genannten „Neuentdeckung“ seiner Person, komme aber niemals auf die Idee zu sagen, dass er ein „großer Schriftsteller“ wäre. Er hat Aufzeichnungen geschrieben, die hin und wieder auch durch Witz und Humor auffallen, aber beispielsweise seine visionären Ausführungen über die durchgängige inner-südamerikanische Wasserstraße vom Pazifik zum Atlantik können wahrlich nicht als große Prosa bezeichnet werden, ebenso verhält es sich mit vielen Abhandlungen über botanische Entdeckungen oder die gesellschaftlichen Verhältnisse im spanischen Vizekönigreich. Das war damals schon sachliche Literatur.
Wäre Humboldt so ein „Meister des interkulturellen Denkens“, hätte er es viel einfacher gehabt mit den Widrigkeiten der spanischen Bürokratie in Südamerika fertig zu werden. Er hat sich aber in jene Denkweise, die dieser zu Grunde liegt, gar nicht erst hineinversetzen wollen, sondern gleich den direkten Weg zur Obrigkeit gewählt, die ihm den Weg ins Land öffnete. Er war neugierig auf Erkenntnisse bis ins hohe Alter und wollte genauso herausfinden, was die Angehörigen der Indochina beim Kontakt mit ihm dachten und fühlten, wie die spanischen Besatzer Südamerikas. 25 Jahre später in Russland war sein Interesse am „interkulturellen Denken“ der Einheimischen wesentlich eingeengter, zumal er dort keinen weiten Bewegungsspielraum hatte. Die zaristische Geheimpolizei überwachte ihn recht intensiv, wie wir auf unseren Studienreisen 1996-98 erfahren konnten. Die Aktion von Herrn Ette ist ja gut, wenn es nur um die Öffentlichkeitswirksamkeit der wissenschaftlichen Leistungen von Alexander von Humboldt gehen würde, aber leider bekommt sie wieder diese übliche Eitelkeitsattitüde von Menschen, die sich selbst in den Mittelpunkt stellen wollen. Wenn der Wissenschaftler heute Medienaufmerksamkeit sucht, zieht er bewusst provokante Schlüsse, die aber nicht immer wissenschaftlich sind. In der Hauptsache soll es wohl den eigenen „Wert“ steigern, auch wenn es zu Lasten der Seriosität geht.
J. Strauss, Potsdam
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