Lesermeinung: Im Zweifel gegen die Standfestigkeit eines Baumes
Zu: „ Letztes Aufbäumen für eine Allee“, 4.2.
Stand:
Zu: „ Letztes Aufbäumen für eine Allee“, 4.2. und: „ 113 Alleebäume werden gefällt“, 6.2.
Ich will versuchen, die Rolle der Baumgutachten aus meiner eigenen Gutachterpraxis näher zu beleuchten.
Nach einigen Gerichtsurteilen sind Gutachter (laut deren eigener Aussage) immer von der Haftung für einen als gesund /ungefährlich eingestuften Baum betroffen, wenn der bei einem Sturm doch umfällt. Daher urteilen Gutachter extrem vorsichtig und beim kleinsten Zweifel gegen die Standfestigkeit eines Baumes. Genauso sind die Mitarbeiter der Naturschutzbehörde in der Verantwortung. Kein einfacher Job, von Hunderten Straßenbäumen den einen zu finden, der beim nächsten Orkan vielleicht umkippt. Nicht auszudenken, wenn der Baum auf die Straße fällt und ein Autounfall mit Verletzten verursacht. Das will niemand riskieren, was sicher jeder verstehen kann.
Die Baumfällungen an der B273 oder in der Seepromenade haben allerdings mit der Realität nicht viel zu tun, sondern mit der Angst, doch mal in die Haftung genommen zu werden. Es gibt einige Beispiele, wo alte Eichen und wunderschöne alte Alleebäume gemäß inzwischen alter Gutachten gefällt werden sollten, nachdem der Kreis den Ausbau der Straße beschlossen hatte. Aus vielfältigen Gründen wurde die Straße dann nicht ausgebaut – und siehe da, mehr als 95 Prozent der Bäume stehen noch und sind wunderbar vital. In anderen Fällen meinte die Tiefbauverwaltung wegen Gehwegearbeiten mehr als 60 Linden fällen zu müssen, sie würden danach alle eingehen, so das Argument. Der Gehweg wurde gebaut und die überlebenden Linden stehen auch heute noch.
Eine Ursache der Baumschäden ist auch die Sparpolitik in den Rathäusern. Wenn für den Pflegeschnitt eines Straßenbaumes lediglich 20 Euro zur Verfügung gestellt werden, kann dies nur mit der Kettensäge im Hauruckverfahren erfolgen. Eine behutsame nachhaltige Baumpflege bedeutet nämlich das Wegschneiden der trockenen Äste.
Mit der Kettensäge werden jedoch aus Zeitgründen gleich große Äste eingekürzt. Diese trocknen dann zurück und stellen ein Einfallstor für Keime dar. Der Baum wird abgängig gepflegt! Nachhaltiges auf langes Erhalten von Alleebäumen ausgerichtetes Arbeiten sieht anders aus. Hier ist ein Umdenken erforderlich.
Wie man das Dilemma der Gutachter und der Baumpflege lösen kann, das wäre zu diskutieren. Denn bevor das nicht geändert wird, werden wir weiter zusehen, wie zu viele alte Bäume, obwohl wir sie für unser Klima dringend brauchen, aus Vorsicht und Angst vor Konsequenzen, und natürlich auch wegen der Ignoranz und Bequemlichkeit und/ oder Inkompetenz vieler Stadtplaner und Tief- und Straßenbauer sinnlos gefällt werden.
Andreas Menzel, Groß Glienicke
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: