Lesermeinung: Märchenhaft?

Es war einmal ein Mann. In den Zeiten der Märchenerzähler wäre er wahrscheinlich als graubärtig und alt beschrieben. Aber heute ist er mit 50 nicht alt. Also: Es war einmal ein 50-jähriger Mann, der hatte seine liebe Not damit, eine neue Anstellung zu finden. Er wusste viel und beherrschte allerlei Gewerke, jedoch wollte ihm keiner Arbeit geben. So meldete er sich regelmäßig in dem Haus mit dem großen „A“, wo man ihm mitteilte, dass er schwer vermittelbar sei. Schwer vermittelbar, das traf ihn hart – trotz all seiner unschätzbaren Erfahrungen – und machte dem Mann in den nächsten Monaten, die er daheim verbrachte, schwer zu schaffen. Eines Tages erschien ein Silberstreifen am Horizont: Die Berater des Königs hatten einen Plan gemacht, wie man Männern helfen konnte, denen es so ergangen war wie unserem 50-jährigen. Und so erwartete ihn beim nächsten Gang zu dem Haus mit dem großen „A“ eine Überraschung: Er durfte wieder arbeiten. Er verdingte sich in einer Firma, deren Name aus drei großen Buchstaben bestand und die versprach, dass sie ihn an andere Firmen weiter verleihen wollte. Das gehörte zum Plan der Berater des Königs. Fortan arbeitete unser Mann fleißig, fuhr in die große Hauptstadt des Königreiches und war wochenlang vom Morgengrauen bis nach Sonnenuntergang unterwegs, 14 Stunden täglich. Langsam fühlte er sich sicher und wieder gebraucht. Als in der Hauptstadt nichts mehr zu tun war, fuhr er zum Betrieb mit den drei großen Buchstaben und wollte sich da nützlich machen. Daraus wurde nichts: Er wurde gekündigt, nach vier Monaten. Nun könnte man mutmaßen, dass vielleicht das Geld des Königs für seine Arbeit nicht mehr da war. Viel interessanter war indes: Dem Mann begegneten in der Firma andere, neue Mitarbeiter. Sie waren über 50, graubärtig, und fingen an, sich sicher und wieder gebraucht zu fühlen Marie Luise Hein, per E-Mail

Marie Luise Hein, per E-Mail