Lesermeinung: Noch „Zumutung“ oder schon „handfester Skandal“?
Zu: „Informationen eines ÜberläufersGedenkstätte Leistikowstraße: Dauerausstellung ab Februar 2012 / Akten aus Riga / Kritik von Zeitzeugen“, 26.1.
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Zu: „Informationen eines Überläufers
Gedenkstätte Leistikowstraße: Dauerausstellung ab Februar 2012 / Akten aus Riga / Kritik von Zeitzeugen“, 26.1. 2011
Ich habe selbst als Studentin an der Konzeption und Fertigstellung der Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“, einem Projekt von Memorial Deutschland e.V., mitgearbeitet, die von 2000 bis 2006 in der Leistikowstraße zu sehen war und bereits auf einer Vielzahl von Zeitzeugenberichten ehemaliger Häftlingen beruhte, die wir Ende der 1990er Jahre interviewt haben. Unser Ausstellungsteam hat komplett ehrenamtlich gearbeitet. Wir haben die Ausstellung für einen Bruchteil der Summe, die den heutigen Ausstellungsmachern in Potsdam zur Verfügung steht, innerhalb weniger Monate auf die Beine gestellt. Umso mehr bin ich entsetzt über die erneute Verzögerung der Eröffnung der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Leistikowstraße, an deren Konzept seit fast zwei Jahren gearbeitet wird. Im vergangenen Jahr bekam die Gedenkstätte noch einmal einen großen Geldbetrag, um die Dauerausstellung endlich fertig zu stellen. Bereits damals wurde die Eröffnung auf das Frühjahr 2011 verschoben. Nun wird das Haus für ein halbes Jahr sogar ganz geschlossen. Dies ist eine Zumutung für alle an der deutsch-russischen Geschichte interessierten Bürger und Bürgerinnen und in erster Linie ein Affront gegenüber den ehemaligen Häftlingen, die alle hoch betagt sind.
Dr. Anke Höhne, Hamburg
Fünf Jahre seit Sanierungsbeginn, bleibt Eröffnung noch immer ungewiss
Langsam aber sicher wächst die Gedenk- und Begegnungsstätte in die Reihe der handfesten Skandale des Landes Brandenburg hinein. Oder ist es etwa preußisch-korrekt, Steuergelder in Höhe von 850 000 Euro für eine Ausstellung zu verbrauchen und dabei das ehemalige Geheimdienstgefängnis – zumal durch totale Schließung ab Mai 2011 – um ein weiteres Jahr seinem Zweck als Ort von Gedenken und Erinnern zu entziehen und damit die Gedenkstättenarbeit sanft einschlummern zu lassen? Neue Exponate können auch bei bereits geöffnetem Haus eingebracht werden. Da gab es einmal, zwischen 1997 und 2006, unverkrampfte, öffentlichkeitsnahe und -wirksame, ehrenamtliche (!) Betreuung des Hauses, Führungen, eine informative Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“, öffentliche Zeitzeugengespräche und andere Veranstaltungen, Publikationen und vor allem vertrauensvolle Zusammenarbeit von Fachleuten, engagierten Bürgern und ehemaligen Häftlingen – unterstützt von Eigentümer, Prominenz und Politik. Welch eine Ausstellung zeichnet sich ab, der Bewährtes und Erfolgreiches zum Opfer fällt? Wird das Haus, das als „zentrales Exponat“ die Angst und den Terror des stalinistischen Systems beklemmend zur Wirkung kommen ließ, zum Anlass für ein Museum, das die Darstellung der Nachkriegsspionage in den Mittelpunkt stellt? Zurzeit gelingt es jedenfalls nicht, gravierende Mängel der Entwicklung zu verdecken; beispielsweise die seit einem Jahr ausstehende Berufung des nominierten Vertreters der ehemaligen Häftlinge in den Stiftungsbeirat; die Benutzung des 2007/08 errichteten Funktionsbaus als Werkstatt für die Ausstellungsvorbereitung statt als Gedenk- und Begegnungsraum; der minimale, zäh sich hinquälende Zusammenarbeitsversuch zwischen der bewährten Arbeitsgemeinschaft (Förderverein, ehemalige Häftlinge und „Memorial Deutschland e.V.) und der gegenwärtigen Gedenkstättenleitung. Dass bei nun geplantem Eröffnungstermin im Februar 2012 mehr als fünf Jahre seit Restaurierungsbeginn vergangen sein werden, ist empörend und erfüllt mit Trauer.
Gisela Kurze, Memorial Deutschland e.V.
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