Lesermeinung: Potsdam verträgt zeitgenössische Architektur – Beispiel: Am Neuen Markt 5

Zu: „Ein Leitbau zum Verlieben“, 9.1. 2010

Als Stadtplaner verfolge ich seit 1989 die Potsdamer Fortschritte auf der „Suche nach der verlorenen Mitte“. Durchgängig war dieser kritisch-rationale Prozess begleitet von Bürger-Initiativen, die den „schönen Bildern“ der Vorkriegszeit nachtrauerten. Ihre Vorstellungen prägten stets Sehnsüchte und eine Anti-DDR-Nostalgie, einen Hang nach romantischen Bildern – losgelöst vom Alltag mit gesellschaftlichen Konflikten. Ich bin überzeugt, dass dies auch ein Hauptmotiv der Mitteschön-Initiative ist. Die Initiative erinnert mich an die Gesellschaft Historisches Berlin, die über 80 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses zu sammeln sich verpflichtet hat – wobei absehbar ist, dass nicht einmal ein ansehnlicher Teilbetrag zusammenkommen wird. Aus meiner beruflichen Erfahrung bin ich sehr besorgt, dass viele Bürger und Kommunalpolitiker der Versuchung erlegen sind, die preußische Vergangenheit nur noch im Glorien-Schein sehen zu wollen. Das Beispiel einer kritischen Rekonstruktion ist das Haus Am Neuen Markt 5 in Potsdam. Das Beispiel zeigt, dass Potsdam die zeitgenössische Architektur der Moderne gut zu Gesicht steht. Die Zeit, in der Monarchen versuchten, einer Stadt mit römischen Kopien ein europäisches Aussehen zu verpassen, sollte vorbei sein. Der Potemkinschen Dörfer gab es auch in der jüngeren Vergangenheit der Stadt genug. In diesem Sinne, sollte man für eine selbstbewusste Architektur Potsdamer Leitbauten zum Verlieben eintreten. Für die Wiederbelebung stellt sich die Frage: Wie viel mehr an attraktiven Publikumsnutzungen werden hier angesiedelt? Denn nur diese können einer verlorenen Mitte lebendiges Flair verleihen. Der geplante Neubau eines attraktiven Sportbades wäre eine einmalige Chance. Warum kann es nicht am historischen Standort an der Alten Fahrt auf der Freundschaftsinsel neu entstehen ?

Jörn Dargel, Berlin-Zehlendorf