Lesermeinung: Potsdamer Hans-Otto-Theater hat es auf den Punkt gebracht
Zur Inszenierung von „Der Turm“ im Potsdamer Hans-Otto-TheaterDurch Tellkamps Roman habe ich mich durchkämpfen müssen, wochen-, fast monatelang. Mit Vergnügen und Langeweile.
Stand:
Zur Inszenierung von „Der Turm“ im Potsdamer Hans-Otto-Theater
Durch Tellkamps Roman habe ich mich durchkämpfen müssen, wochen-, fast monatelang. Mit Vergnügen und Langeweile. Unlängst habe ich mir den Dresdner „Turm“ angeschaut, kurze Zeit später den von Tobias Wellemeyer in Potsdam. Da drängen sich Vergleiche auf. Der erstere Turm erschien mir fast statisch, quasi auf der Stelle verharrend, der zweite breitflächiger, spielraumgreifender. Im ersten hatten Christian wenig und Meno fast gar nichts zu sagen, der zweite erschien mir dagegen deutlich plastischer, plausibler und in der Figurenzeichnung genauer. Schuld daran sind wohl in erster Linie die Bearbeiter des 1000-Seiten-Romans, für Dresden Jens Groß und Armin Petras, für Potsdam (und Wiesbaden) John von Düffel. Bis zur Pause habe ich mich in Dresden sehr wohlgefühlt. Doch dann fuhr ein Spielzeugpanzer über die Bühne und die „Türmer“ wurden zu Marionetten degradiert. Potsdam dagegen ging deutlich mehr unter die Haut. Dort musste Christian zu Hause artig Cello spielen, in der Schule das Phrasendreschen er-, bei der NVA den aufrechten Gang ver- lernen, um im Schwedter Arrest-Turm fast zu verrecken. Den Rest gaben ihm die giftigen Schwefeldämpfe von „Samarkand“. Den mussten auch die Potsdamer Zuschauer aushalten. Im Staatsschauspiel Dresden dagegen ist die Luft zu sauber geblieben, und Baron v. Arbogast hatte leider viel zu sehr das Sagen. In Potsdam dominierten, völlig zu Recht, die drei Tellkamp''schen Protagonisten Richard, Meno und vor allem der hervorragende Holger Bülow als Christian das Spiel, besser: den Ernst der Inszenierung. Denn das Leben in der DDR war kein Spiel, sondern bitterer Ernst, meistens jedenfalls. Klar besaß man im behüteten Zuhause Mutter und Vater, da und dort eine freundliche Nische mit einer kostbaren Schallplattensammlung, dazwischen ganz bestimmt auch Fritz Löfflers „Das alte Dresden“. Im Leben draußen aber hatte „Vater Staat“ das Sagen, blaubehemdet an der EOS, uniformiert im gesamten Verlags-, Gesundheits- und im Bauwesen. „Ballast der Republik“ und Mauer lassen grüßen. Dresden hat das verharmlost, Potsdam auf den Punkt gebracht.
Andreas Flämig, Potsdam
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: