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Lesermeinung: Potsdamer Innenstadt nur für Hohenzollernfans?

Dauerstau bis 2012, 2.10.

Stand:

Dauerstau bis 2012, 2.10. 2008

Dass es nicht um den Schutz von Radfahrern, sondern um die Erschließung und Vermarktung der in der Speicherstadt entstehenden Luxuswohnungen geht, scheint sich zu bestätigen. Die Stadtverwaltung verteilte bei der Bürgerversammlung zur Verkehrsbelastung am Brauhausberg Beruhigungspillen an die Anwohner und präsentierte Zahlen zu Luft- und Lärmbelastung, die nicht auf Messungen basierten, sondern auf Berechnungen. Auf die Feststellung eines Betroffenen, der wahre Grund der Verlegung des Hauptverkehrs diene den Vorhaben in der Speicherstadt, reagierte man mit Schweigen. Nun wird bekannt, dass das Archiv – der letzte Treffpunkt der alternativen Jugend in der Potsdamer Innenstadt – baupolizeilich gesperrt wird. Interessant ist nicht nur der enge zeitliche Zusammenhang zu den Verkehrsmaßnahmen rund um die Speicherstadt, sondern auch die Tatsache, dass das Archiv direkt gegenüber der in Planung befindlichen Luxusquartiere liegt. Verständlich. Will man den zukünftig anspruchsvollen Bewohnern der schon nicht den Verkehrslärm und die Abgase einer stark befahrenen Leipziger Straße zumuten, dann doch erst recht nicht den Anblick einer subkulturellen Jugendszene. Das Handeln der Potsdamer Stadtverwaltung bekommt Konturen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Stadt das Gebäude des Archivs sanieren wird. Wahrscheinlicher ist wohl ein alt bewährtes Rezept: Das Abschieben in eine dunkle Ecke der Peripherie. Am besten so, wie es derzeit mit dem Spartacus geplant ist: zwischen S-Bahnstrecke und Busdepot. Vor allem: Nicht zu hören und nicht zu sehen. In den PNN, wo von der Verkehrsproblematik am Brauhausberg und der Sperrung des Archivs berichtet wird, steht zu lesen, dass sich der Oberbürgermeister der zusammen mit der Pro Potsdam GmbH (die maßgeblich für die Konzeption der Speicherstadt verantwortlich ist) auf der Münchner Immobilienmesse Expo Real 2008 unter dem Motto „Highlights in Traumlage“ präsentieren wird. Um es klar zu sagen: Es geht mir nicht darum, eine Neid-Debatte zu entfachen, ich möchte vielmehr zeigen, dass massive Verdrängungsprozesse in Potsdam bereits Realität sind. Dem muss entgegengewirkt werden! Es geht jetzt darum, sich für den Standort des Archivs in der Leipziger Straße einzusetzen und Solidarität mit den Bewohnern zu üben, die durch eine rücksichtslose und einseitig geprägte Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden. Wer sich dagegen nicht wehrt, akzeptiert, dass über die Potsdamer Innenstadt kein lebendiger und vor allem lebenswerter Raum bleibt, sondern zum Freilichtmuseum für Hohenzollernfans mutiert.

M. Krüger, Potsdam

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