Lesermeinung: Praxisgebühr könnte der Grund für geringe Lebenserwartung bei Geringverdienern sein
Zu: „Wer wenig verdient, stirbt früher“, 13.12.
Stand:
Zu: „Wer wenig verdient, stirbt früher“, 13.12. 2011
Für die Tatsache, dass Arme früher sterben als Besserverdienende, gibt es viele Gründe. Ein Teil der Ursachen liegt bei den Menschen mit geringem Einkommen selbst, indem überdurchschnittlich viele einen ungesunden Lebenswandel pflegen (Nikotin und Alkohol) und weniger auf ihre Gesundheit achten.
Ein anderer Teil ist auf objektive Fakten zurückzuführen, die vom Stress im Beruf der Niedriglohn- oder Aufstockungs-Empfänger bis zur schlechteren Gesundheitsvorsorge in ärmeren Gegenden reichen. Aber das alles erklärt nicht die Tatsache, dass die Lebenserwartung entgegen dem allgemeinen Trend in den vergangenen zehn Jahren um zwei Jahre, im Osten sogar um mehr als drei Jahre bei dieser Zielgruppe gesunken ist. Denn die eingangs erwähnten Gründe gab es in dieser oder in ähnlicher Form auch schon vor zehn Jahren.
Aber ein Punkt hat sich verändert: Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Schröder/Fischer hat in ihrer hochgelobten Agenda 2010 vor annähernd zehn Jahren die Praxisgebühr eingeführt. Vieles sprach auch dafür, denn die Zahl der Arztbesuche lag im europäischen Vergleich in Deutschland unerklärlich hoch. Gleichwohl, wenn das die Ursache ist, ist ein Umdenken in der Politik notwendig. Wenn die Einführung der Praxisgebühr derartige Auswirkungen hat, dass sie viele - vor allem ärmere - Menschen offensichtlich davon abhält, rechtzeitig zum Arzt zu gehen, dann ist sie skandalös und gehört unverzüglich abgeschafft.
Die Überlegungen, die vierteljährliche Gebühr durch eine Gebühr bei jedem Arztbesuch zu ersetzen, ist in diesem Sinne nicht weniger schimpflich. Bleibt noch die Frage, warum die Lebenserwartung im Osten noch mehr als im Westen gesunken ist. Die Umwelt kann es nicht sein, denn der Zusammenbruch der Industrie nach der Wende hat im Osten zu deutlich besseren „harten“ Zahlen geführt. Vielleicht liegt es doch daran, dass der Anteil der Geringverdiener im Osten höher als im Westen ist und dass man hier mehr auf den 10-Euro-Schein achten muss als im Westen - wobei wir wieder bei der Praxisgebühr wären.
Peter Schultheiß, Stadtverordneter der Fraktion Potsdamer Demokraten
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