Lesermeinung: SPD am Ende?
„Rot-Grün hat''s nie gegeben!“ Dieser Septemberabend 1998 war wirklich großartig.
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„Rot-Grün hat''s nie gegeben!“ Dieser Septemberabend 1998 war wirklich großartig. Der Spitzenmoment war für uns der gemeinsame Fernsehauftritt von Jürgen Trittin und Oskar Lafontaine: Selbstbewusst, voller Pläne, angriffslustig, einig und aufeinander abgestimmt. Die Botschaft war: Wir haben viel vor und werden mit der Ära Kohl und den konservativen Machtstrukturen in diesem Land gründlich aufräumen. Die Zeit war lange schon reif dafür. Tatsache bleibt, nach Treuhand-Kahlschlag sowie Rückübertragungsexzessen, bedeutete dieser Abend für Ostdeutsche endlich Momente tiefer Genugtuung und neuer Zuversicht. Wenig später begannen die schweren Auseinandersetzungen innerhalb der SPD und der Koalition, die de facto fast ein Jahr lang zu weiterem Handlungsstillstand und schweren, handwerklichen Pannen führten. Rasch korrigiert wurde lediglich Kohl''s Eingriff in die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie sozial unausgewogene Neuerungen bei der Rente. Am Ende des Winters hatten Schröder und Fischer sich durchgesetzt. Trittin wurde an die Kette gelegt und konnte, außer dem Einstieg in den Atomausstieg und dem belanglosen Dosenpfand, nichts auf seiner Liste abstreichen. Insbesondere die Besteuerung von Flugbenzin und weitere, wirksame Klimaschutzmaßnahmen blieben auf der Strecke. Heute wird das Schrittmaß des Umweltfortschrittes ganz klar von außen, von Brüssel, vorgegeben. Ein Armutszeugnis für dieses, angeblich so ökologisch ausgerichtete Land. Mindestens genauso schwer wurde es für linke Sozialexperten der SPD, wie Ottmar Schreiner, und die Gewerkschaften. Weil sich Lafontaine mit seinen, alternativen Ansätzen zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht durchsetzen konnte, gerieten sie zunehmend ins Visier des wirtschaftshörigen SPD-Flügels, aber auch der neoliberalen Opposition. Schreiner, Lafontaine und andere hatten es versäumt, für ihre Vorstellungen in der SPD zu werben und dafür eine tragfähige Basis zu schaffen. Wahrscheinlich hielten sie sich aus wahltaktischen Gründen vor dem September 1998 damit zurück. Danach - als die Regierungsverantwortung aufgeladen war – da war es zu spät. Im März 1999 verließ Lafontaine entmutigt, gescheitert und zerstritten die Regierung und die SPD-Spitze. Die Linken in ganz Deutschland bedauern dies bis heute zutiefst. Denn seitdem verfolgt Kanzler Schröder weitgehend ungehindert seinen neoliberalen Reformkurs, mit dem Tenor auf Sozialabbau, Steuergeschenken für Großunternehmen und Spitzenverdiener, indirekter Förderung statt Bremsen der Globalisierung. Seine Politik läuft darauf hinaus, den ungleich verteilten Reichtum in diesem Land nicht anzutasten und einer bedrohlich rasch abnehmenden Zahl abhängig Beschäftigter die steigenden Lasten der Sozialsysteme mehr und mehr allein aufzuerlegen. Das ist die Agenda 2010. Weil das so ist, hat es für uns die wirkliche Umsetzung des rot-grünen Projektes, des rot-grünen Wahlprogrammes von 1998 nie gegeben. Die SPD und Schröder beziehen deshalb seit Jahren Prügel von zwei Seiten und sind nun am Ende mit ihrem Latein. Unsozial und neoliberal in den Augen der eigenen Stammwählerschaft, immer noch nicht wirtschaftsfreundlich und neoliberal genug in den Augen der Konservativen. Traurig, dass die Schwarz-Gelben nun unverdient die Nutznießer dieses Niedergangs sein werden. Ihr Auftreten in diesen sieben Jahren, von überzogener Schwarzmalerei und Blockade bis hin zur albernen „Spaßgesellschaft“, war wahrlich nicht überzeugend. Bernd-R.Paulke, Potsdam
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