Lesermeinung: Überreaktionen fördern Antisemitismus
Von Sinnen, und: Ifo-Chef Sinn entschuldigt sich, 28.10.
Stand:
Von Sinnen, und: Ifo-Chef Sinn entschuldigt sich, 28.10. 08
Herr Sinn wurde in den PNN heftig angegriffen, und mit ihm seine Kollegen, „die Ökonomen-Kaste“. Ich fühle mich mit angegriffen. Was steckt hinter der Aufregung? Ich hätte mich genau so ausdrücken können wie Herr Sinn, wenn ich in die Bibel schaue (3. Mose 16, Vers 21f): „Aaron stemmt seine beiden Hände auf den Kopf des lebendigen Bockes, bekennt über ihm alle Verschuldungen und alle Übertretungen der Israeliten, durch die sie sich irgend verfehlt haben, tut sie auf den Kopf des Bockes und lässt ihn mit Hilfe eines dafür bereit stehenden in die Wüste laufen. Der Bock trägt auf sich alle ihre Verschuldungen fort in eine abgelegene Gegend“.
Der Sündenbock hat sich nicht verfehlt, aber er schafft die Verfehlungen fort. Wenn die Juden von Herrn Sinn mit dem Sündenbock verglichen werden, so wird nicht gesagt, dass sie an der Krise schuld waren, wohl aber, dass sie weithin für verantwortlich gehalten wurden. Kein Grund also zur Aufregung. Man regt sich aber doch auf, weil man mit dem Sündenbock nichts Genaues mehr verbindet und – vorsichtshalber – weil man nicht als Antisemit gelten möchte. Warum aber regen sich die Juden auf? Sie müssen es doch besser wissen. Jedes Jahr einmal wird der Abschnitt im Sabbatgottesdienst vorgelesen, und außerdem am Morgen des Versöhnungstages. Vorsichtshalber haben die Juden eine Entschuldigung verlangt. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätten abgewiegelt und ein klärendes Wort gesagt. Überreaktionen und ängstliche Nervosität in jüdischen Fragen fördern nur den Antisemitismus.
Sievert Graf von Wedel, Michendorf
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