Lesermeinung: Umbenennung der Arthur-Scheunert-Allee?
Zur Vergangenheit des Ex-Ernährungsinstituts-Chefs
Stand:
Zu „’Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ – Der Historiker Roland Thimme über die NS-Vergangenheit des Ernährungsforschers Carl Arthur Scheunert– dem Mitbegründer des Ernährungsforschungsinstituts in Rehbrücke.“
In den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom Freitag, dem 2. März 2012, wurde ein Artikel mit dem Thema „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ veröffentlicht, der sich auf ein Interview mit dem Historiker Roland Thimme bezieht. Von diesem wird u. a. angeregt, den Namen „Arthur-Scheunert-Allee“ von den Straßenschildern im Ortsteil Rehbrücke zu streichen. Es geht dabei um Carl Arthur Scheunert, der im Jahre 1948 an das 1947 gegründete „Institut für Ernährung und Verpflegungswissenschaften“ im damaligen Potsdam-Rehbrücke kam und von 1951 bis 1957 dessen Direktor war. Als langjährige ehemalige Mitarbeiter und spätere wissenschaftliche Bereichsleiter am „Institut für Ernährung“, die zeitweilig noch unter Prof. Scheunerts persönlicher Anleitung gearbeitet haben, fühlen wir uns verpflichtet, zu diesem Artikel einige kritische Bemerkungen zu machen.
Zunächst wäre zu sagen, dass seinerzeit sämtliche Mitarbeiter des Institutes voll und ganz hinter ihrem damaligen Chef standen. Als solcher war er nicht nur den Wissenschaftlern, sondern auch den Assistenten, Laboranten, Haus-Handwerkern, Kraftfahrern und Putzfrauen ein verständnisvoller Vorgesetzter, zu dem wirklich ein jeder - selbst mit privaten Sorgen – kommen konnte. Und wir engeren Mitarbeiter waren – wie wir ihn kannten – überzeugt davon, dass es Scheunert bei seiner Forschungstätigkeit nicht um irgendwelche taktischen Erwägungen oder einen persönlichen Vorteil, sondern um eine Verbesserung der Gesundheit unserer Bevölkerung durch optimale Ernährung ging. Dies war gerade in den Hungerjahren nach dem Krieg von grundlegender Bedeutung für die unter Mangelernährung leidende Bevölkerung.
Selbst sein Vorgänger Prof. Ziegelmayer fühlte sich diesen Maximen verpflichtet, obgleich er „in der NS-Zeit Kopf der deutschen Militär- und Gemeinschaftsverpflegung war“ (wie es in dem Artikel heißt). Zu allen Zeiten und in allen Ländern wurden nun mal Ernährungsfragen auch im Zusammenhang mit militärischen Überlegungen erörtert. Selbst die Alten Römer haben sich seinerzeit sehr um die Ernährung ihrer Soldaten gekümmert, was ihnen manch ein neunmal Kluger aus heutiger Sicht vorwerfen mag.
Was nun die Versuche Prof. Scheunerts in Waldheim anbelangt, so halten wir es für dringend erforderlich, die Protokolle der Vitamin-Versuche wirklichen Fachleuten (d. h. Ärzten und Ernährungswissenschaftlern) noch einmal zugänglich zu machen. Wenngleich man den Probanden vermutlich bestimmte Vorteile in Aussicht gestellt und vielleicht sogar gewährt hat, so war der Strafvollzug als solcher im Dritten Reich zweifellos verbrecherisch. Ob man aber die von Scheunert angestellten Versuche als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnen muss, erscheint uns fragwürdig. Nach den Ausführungen von Herrn Thimme gibt es eine Dissertation, in der diese Versuche geschildert werden. Vielleicht existieren auch noch Versuchsprotokolle dazu. Das in den 90er Jahren im damaligen „Zentralinstitut für Ernährung“ erstellte Archiv wurde bisher vermutlich ebenfalls nicht zu Rate gezogen. Die Presse sollte daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, um in diesen Richtungen abermals Recherchen anstellen zu lassen. Erst dann kann man sich ein fachlich fundiertes Urteil über die damaligen Untersuchungen und ihre moralische Bewertung bilden.
Das von (Ziegelmayer und) Scheunert gegründete sowie von deren Nachfolgern sehr erfolgreich geleitete Institut hat nicht nur in den Jahren nach dem Krieg, sondern auch viel später ganz wesentlich zur Ernährungs-Aufklärung und damit zur Gesunderhaltung unserer Bevölkerung beigetragen. Nicht zuletzt war und ist es eine international renommierte Einrichtung, der auch unser Heimatort Bergholz-Rehbrücke im jetzt größeren Verband Nuthetal viel seines Ansehens mit zu verdanken hat.
Wir halten eine Umbenennung der Arthur-Scheunert-Allee für nicht gerechtfertigt.Prof. Dr. Heinz Ruttloff,
Dr. Fritz Linow
Demontage eines Denkmals
Dieses Interview regt zum Widerspruch an. Während er also überzeugter Nazi war, ist der Nationalpreis der DDR für Scheunert nur als Nebenprodukt für sein „schlechtes Gewissen“ abgefallen? Bekam den Nationalpreis jeder? Und wird Selbmann als Zeuge authentischer, wenn man seine Rolle in der DDR (Kulturminister, ebenfalls Nationalpreisträger) herunterspielt und ihn ausschließlich als hilfloses Opfer des opportunistischen Karrieristen Scheunert darstellt? Mir scheint, Herr Thimme brauchte einfach nur Öffentlichkeit, wie man sie bei der Demontage vermeintlicher Denkmäler eben erhält. Die PNN hat sie ihm gegeben.
Andreas Kellner, Potsdam.
Ein Beitrag zum Thema: Seite 13
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: