Lesermeinung: Ungewöhnlich mutig

„Lust am Lauten“, 30. Oktober 2006

Wieder einmal erregt der Autor mein Ärgernis mit seinen Reflexionen über das jüngste Gershwin-Orff-Konzert der Potsdamer Singakademie. Der Rezensent kann sich wohl nicht von Orffs „unverwüstlicher“ Carmina Burana lösen. Vielleicht hätte er es lieber als sanftes Liedlein, wie es der Gebrauch des Singulars vermuten lässt. Möglich auch, dass er eher Aufführungen bevorzugt, die mit keiner „Menge Menschen“ den Nikolaisaal füllen. Man mag über die Großraumgestik Edgar Hykels geteilter Meinung sein, doch die Pauschalisierung seines Wirkens als „Lust am Lauten“ ist unangemessen. Will man die aktuelle Brisanz des Aufschreis „O Fortuna“ gar nicht wahr haben? Es zeigte sich mit diesem anspruchsvollen wie abwechslungsreichen Programm ein beachtliches chorerzieherisches Anliegen des Dirigenten, mit den impulsiven Abstufungen zwischen lautstarker, kollektiver Emphase, lustvoll liebes- und lebenstrunkenem Aufbegehren und übersteigernder Groteske. Was aber soll die nebensächliche Anmerkung des Rezensenten, dass Hykel einer Lust am Lauten „hier wie dort ungehemmt frönen“ konnte. Dabei hatte das Konzert ganz anders begonnen. Der Rezensent meinte herablassend, eine „Porgy-and-Bess-Kurzvariante“ vernommen zu haben mit „immer gleich“ klingendem Ariengesang, mit einem „ohne Herzenslust“ swingenden Chor. Derartige Unterstellungen wurden durch die spontanen Beifallsbekundungen des Publikums widerlegt. Auch daran hatte der Autor wohl schon gedacht, denn bedauernd stellt er fest, dass „kein Richtlinienkontrolleur“ im Saal saß. Zu danken bleibt den Solisten für die große Wandlungsfähigkeit bei der Übernahme so unterschiedlicher Charaktere, dem Orchester für die ermutigende Aufmerksamkeit, auch bei manch heikler Chorpassage, und auch dem Chor und seinem Dirigenten für den Mut zum Ungewöhnlichen.

Günter Olias, Geltow